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Die Zeit nach 2012

Wie es mit uns weiterging

Das letzte Festival war vorbei und Gerd erledigte die routinemäßigen Nacharbeiten. Es gelang uns nur schwer dieses Ende zu begreifen. Gerd war schließlich weder in Rente gegangen noch freiwillig ausgeschieden. Er wurde krank und kehrte nicht mehr ins Büro zurück. Im Sommer saßen wir ziemlich sprachlos, gleichsam wie betäubt auf unserer Veranda. Das Drama aber war, dass Gerd (wie) versteinert zurückblieb und nicht mehr herausfand. Ich hatte schon im Vorhinein angeregt, nach diesem Affront Wendelstein zu verlassen, was uns zusätzlich schmerzen würde, aber unvermeidlich schien, um unser „Seelenheil“ (O-Ton Gerd) zu retten. Ich durchforschte Wohnungsanzeigen in der Zeitung und auf Internetportalen, traf Vorauswahlen und kontaktierte Vermieter bzw. Makler. Nach einigen Telefonaten registrierte ich, dass man aufgrund unseres doch bekannten Namens unsere Bewerbungen an die erste Stelle setzte. Also sagte ich ab sofort, wer wir waren in dem Wissen, nun konnten wir uns unsere Wunsch-Wohnung aussuchen. Und so war es dann auch. Bei der letzten Auswahl zwischen einer Altbauwohnung in der Königstraße und einer noch nicht renovierten 70er Jahre Wohnung entschieden wir uns für diese in der Spitalgasse mit Blick zum Hauptmarkt, zum Obstmarkt und mit der Frauenkirche zum Anfassen nahe.  Zentraler ging nicht. Wir waren in der glücklichen Lage, dass der Eigentümer uns bei den Renovierungsplanungen samt Architekten und Handwerkern mit einbezog. Es wurde nach unseren Wünschen um- und eingebaut. Ende 2012 zogen wir in die zweistöckige 150 qm große, lichtdurchflutete, grundsanierte Wohnung.

Gleichzeitig manifestierte sich im Sommer 2012 Gerds Versteinerung in einer solch abgrundtiefen Depression, wie ich bis dahin nicht ahnte, dass es das geben könnte. Er war nicht mehr in der Lage irgendetwas zu tun, schlief 20 Stunden am Tag. Mit Medikamenten wurde er stabiler und war im Spätherbst in der Verfassung, seine eigenen Dinge wenigstens irgendwie in Kisten zu verfrachteten und den privaten Transport seiner 12.000 CDs und der 2500 Schallplatten zu organisieren. Ich schaffte es, alles zu organisieren und die Abläufe zu planen. Ich glaube, diese Kraft wurde entfacht durch Wut, Abschiedsschmerz (trotz allem) und dem hilflosen Mitansehen von Gerds Leid. Das Motto war: Nur weg aus Wendelstein.

Wie erhofft, war dieser Umzug „unsere Rettung“ und Gerd kehrte „zurück ins Leben“. Hier in Nürnberg konnte er unbeschwert durch die Altstadt „schlurfen“, traf Bekannte und wohlwollende ehemalige Gäste, die mit ihm fühlten und ihm gut zusprachen. Ich war nochmal für ein paar Jahre in den Schuldienst zurückgekehrt, Gerd kaufte ein, kümmerte sich um die Alltagsdinge. Wir richteten uns in der Wohnung ein und mit zunehmendem Frühjahr/Sommer 2013 konnte man uns in Espresso-Cafes in der Altstadt sitzen sehen. Unser Plan war, dass ich vorzeitig in den Ruhestand gehen würde. Es war keine Weltreise geplant, im Gegenteil, wir wollten nur gemeinsame Zeit haben, in eben diesen Cafes sitzen, ohne Struktur in den Tag hineinleben, Musik hören, irgendwann wieder zu Konzerten gehen. So traf man uns im Hirsch und in der Kofferfabrik, auch im fußläufig nahen Jazzstudio waren wir gelegentlich.  Im Nachhinein bin ich mehr als froh, dass wir die Zeit so verbracht haben, wie wir uns es vorgestellt hatten. Bis Spätsommer 2016. Im Herbst kam das Grauen über uns.

Den August 2016 verbrachten wir in der Vorfreude und gänzlich ungetrübt, jetzt gemeinsam im Ruhestand zu sein. Anfang September saßen wir wieder vor unserem Haus beim Trempelmarkt. Gerd ging es nicht gut, er verschwand immer wieder nach oben in die Wohnung. Der erste Schultag im September war mein erster offizieller Ruhestandstag, den wir mit einem Frühstück in einem Cafe einläuten wollten. An diesem Tag war Gerds Schwächeln nicht mehr zu übersehen und ich konnte ihn endlich überreden zum Arzt zu gehen. Dieser hat wohl einiges übersehen, vieles nicht richtig eingeschätzt, Gerd konnte nur noch wenig essen und wurde immer dünner. Da dieser Facharzt nicht handelte, bin ich schließlich mit Gerd gemeinsam zu ihm gegangen. Mit den Worten „mein Mann verschwindet vor meinen und Ihren Augen“ habe ich ihm eine Überweisung in die Klinik abgerungen. Tja, das war Mitte Oktober 2016 und der Anfang vom Ende. Die Diagnose kam knallhart und unbarmherzig mit Todesurteil. Es folgten einige unterschiedliche Behandlungen auf verschiedenen Stationen, die für Gerd eine Verbesserung der Lebensqualität bringen sollten. Zwischendrin war er kurz zu Hause, musste aber wieder mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden. Ende November entschieden wir, ihn nach Hause zu bringen. Gerd wollte bei mir und inmitten seiner CDs sein. „Sterben“ sagte er nicht,  aber ich spürte, dass wir beide es wussten. Ihm blieben noch zwei Monate, mehr als ich und das behandelnde ambulante Palliativteam angenommen hatten. Wir haben noch ein gemeinsames Weihnachten und sogar seinen 69 Geburtstag Ende Januar erlebt. Drei Tage später verstarb er mitten in der Nacht. Ich war nah bei ihm mit seinen abertausend CDs und Schallplatten um ihn herum. 

Da ich den Tod für diese Nacht erahnte, war meine Freundin Ruth über Nacht da. Ich weckte sie mit lauter Musik. Denn unmittelbar nach Gerds Tod fiel mir als erstes ein, laute Musik zu spielen (es war Dr. John), dazu zu tanzen, für Gerd eine Zigarette zu rauchen…

Ruth blieb bei mir bis in der Früh der Pflegedienst und das Palliativteam eintrafen. Beide Organisationen hatten wir glücklicherweise rechtzeitig für die häusliche Betreuung einbezogen und hatten großes Glück mit dieser Wahl. Das Pflegeteam umsorgte Gerd mit ruhiger und beruhigender Fürsorglichkeit, Freundlichkeit und Zugewandtheit. Die Ärztinnen und PflegerInnen des SAPV des ambulanten Nürnberger Hospizteams aus der Deutschherrnstraße behandelten Gerds Schmerzen und seinen Sterbeprozess in ruhiger Professionalität, mit einer tiefen Menschlichkeit und aus dem Herzen kommenden Empathie. Dieses einzigartige Kümmern, wenn nötig rund um die Uhr, lässt mich noch immer zutiefst dankbar sein. 

Später am Vormittag trafen Freunde ein. Es waren die, die mich vom Krankenhaus abholten, wenn ich nicht mehr wusste, wie ich nach Hause kommen sollte. Die mich mit Essen versorgten, emotional und praktisch unterstützten. 

Am Nachmittag in der vielleicht allerschwersten Stunde, als Gerd aus der Wohnung abgeholt wurde, saß meine beste Freundin Waltraud bei mir, hielt mich fest umarmt und hörte sich mit mir Elliott Murphy „Live in Paris“ an. 

Ich verspüre noch heute für all diese Menschen eine ganz große Dankbarkeit und werde diese selbstlose Unterstützung niemals vergessen.

Abschied von Gerd

Die wenigen Tage zwischen Gerds Tod und seiner Bestattung lassen sich nicht beschreiben. Tatsache ist aber wohl, dass mir mein Organisationstalent zu Gute kam und ich dadurch in der Lage war, alles allein zu planen und die Beerdigung so zu realisieren wie ich es mir vorstellte. Mein Tun war allein von dem Bestreben geleitet, Gerd einen wundervollen und 100 % authentischen Abschied zu bereiten. Es sollte keine anonymen Reden geben, keine geschmacklosen Kränze, keine Kerzen, keinen Blumenschmuck, keine Orgelmusik. Nein, es würde ein Abschiedsfest werden, das ihm nochmals die große Wertschätzung vieler Menschen mitgeben würde. Inmitten all dieser Planung fragte ich mich, was ich da eigentlich mache. Ich plante doch kein Festival, es war die Beerdigung meines Mannes! Aber genau darin lag wohl der Sinn, es wurde ein kleines „New Orleans Music Festival“.

Aber vorab waren neben all den pragmatischen Dingen vor allem Entscheidungen zu treffen, die mit großer Emotion verbunden waren. Die Anzeige zu Gerds Tod schrieb sich wie von selbst. Die aller wichtigste Entscheidung aber war die über die Bestattungsart. Ich erinnerte mich an Frau Alter, die ein Bestattungsinstitut in Frauenhand betrieb. Die Vorstellung, eine Frau an meiner und Gerds Seite zu haben, gefiel mir gut. Ein „steifer Bestatter mit Zylinder“ hätte nicht zu uns gepasst. Sigrun erklärte mir die Vorgehensweise. In früheren Jahren hatten wir mal vollkommen unbedarft überlegt, eine möglichst unspektakuläre Bestattungsform zu wählen. Ich sah mir also am Westfriedhof mit Begleitung eines Freundes, Karlheinz, zunächst einen Ort an, an dem nebeneinander viele nur 30cm hohe Stehlen der Erinnerung dienen. Später hätte ich nicht mehr gewusst, wo Gerd wirklich liegen würde. Schließlich habe ich mich für ein Urnengrab entschieden. Aber schon auf der Fahrt nach Hause bekam ich Zweifel. Mein Bauchgefühl sagte, dass irgendwas mit dieser Wahl nicht stimmte. Am Nachmittag traf ich Frau Alter. Auf ihre Frage nach dem Grabplatz brach der Kummer über meine falsche Wahl aus mir heraus. Auch war mir zwischenzeitlich klargeworden, dass Urnenbestattung Verbrennung bedeutete und diese Vorstellung erschreckte mich zutiefst. Das hätte bedeutet, dass wir nach der Abschiedszeremonie plötzlich ohne Gerd dastehen würden und ich bekam das Bild - ganz brutal gesagt - von Gerd im Sarg in einem Ofen nicht aus dem Sinn. Es hätte mir endgültig und wirklich das Herz gebrochen. Frau Alter erkannte meinen Schmerz und rief umgehend bei der Friedhofsverwaltung an um den Vertrag zu stornieren. Sie machte einen zweiten Termin aus, bei dem mir Plätze für eine Erdbestattung gezeigt werden sollten. Dieses Mal begleitete mich Tanja vom ambulanten Hospizteam, die mir schon Wochen vorher zur Seite stand. Wir fanden einen Platz mit Südwest Sonnenstand unter einer Birke. Mein Bauch signalisierte mir unmittelbar viele Gründe für diesen Platz: Birken mochte ich schon in meiner Kindheit, Birken lassen Licht durchscheinen, Birken beschatten, Birken färben und verlieren ihre Blätter gemäß der Jahreszeit und es gab viel Freiraum um die Grabstätte herum. Später gewann dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Natur nochmals an Bedeutung. Die Entscheidung für eine Skulptur aus Holz hinterließ bei mir das Gefühl von Veränderung. Gerd wird immer mehr „verschwinden“, seine Skulptur wird altern und ich altere neben ihm sitzend ebenso Jahr für Jahr. Lebenslauf und Zeitenlauf. Mir war zum ersten Mal bewusst, wie sich Menschen und Natur gleichen und der Veränderung unterworfen sind. Das ehemalige Credo „Forever young“ war für immer dahin.

In allen Phasen gab es die vielen Menschen um mich herum, die mich ernst nahmen und mich in meinem Vorhaben unterstützten. Die Bestatterin und die Friedhofsverwaltung ermöglichten mir den Rahmen für diese „Feier“. Langjährige Begleiter aus der Musikszene fanden sich, um ein paar Worte über Gerd zu sagen, mit ihrem eigenen Blick auf Gerds Persönlichkeit und sein Lebenswerk. Musiker fanden sich, um Gerds Lieblingsmusik zu spielen, eine große Brass Band fand sich zusammen, um Gerd das letzte Geleit zu geben. Abschied genommen haben auch viele Freunde und Wegbegleiter.

Ich hatte die Friedhofverwaltung gebeten, die Trauerhalle komplett auszuräumen, von Kreuzen, Kerzen, Lichtern und sonstigem Schmuck zu befreien. Meinem Wunsch wurde nachgekommen, nur ein verankerter Pflanzentrog musste bleiben. Ich stellte Plakate und Fotos zusammen, die in der Halle ausgestellt werden sollten. Peter Harasim holte die Kisten in der Früh bei uns in der Wohnung ab, fuhr sie in die Halle und arrangierte dort die Bilder und Poster. Später brachte die Kisten in unsere Wohnung. Ein toller Freundschaftsdienst.

Ich wartete währenddessen zuhause auf Dieter Nentwig, den Jazzpromoter und Agent der Barrelhouse Jazzband aus Frankfurt. Er übernahm die Rolle des Moderators während der Abschiedszeremonie. Außer ihm sprachen Menschen, die mit Gerd in direktem Kontakt während seiner Zeit als Kulturreferent standen: Wolfgang Kelsch, der Bürgermeister, der Gerd eingestellt hatte; Peter Felkel, Freund, Musikkenner und -Journalist; Andy Lösche, Blues-Agent; Peter Harasim, Veranstalterkollege-Hirsch. Peter Schneider, der leider nicht kommen konnte, schickte einen Text zum verlesen. Musik gab es von Christian Willisohn, dem New Orleans Blues Pianisten aus München, von Wolfgang Bernreuther, der ein „ein Lidla fürn Gerd“ spielte, und vom Peter Pelzner Trio mit Sänger Reinhold. Aus der Halle hinaus bis zum Grab begleitete uns ganz New-Orleans-Like eine zwölfköpfige Marching Band.

Alle Besucher haben sich an meinen Wunsch gehalten, auf Kränze oder Gestecke zu verzichten, es gab vereinzelt kleine Blumensträuße oder einzelne Blumen. Viele haben mit mir eine Abschiedszigarette geraucht und ich habe Gerd versichert, dass ich jedes Mal am Grab eine Selbstgedrehte für ihn rauchen werde. Das tue ich bis heute. Den Tabak besorge ich noch dort, wo Gerd ihn immer gekauft hat. Rauchen ist am Friedhof normalerweise verboten, die Friedhofsangestellten aber kennen mich und ich wurde bis heute nicht ermahnt.

Nach der Bestattung trafen sich ein paar Menschen in einem Cafe am Hauptmarkt, unterhalb unserer Wohnung. Was soll ich sagen? Anstelle von Worten hier einige Fotos.

In der ersten Woche nach Gerds Beerdigung war ich nicht am Grab, ich kam gar nicht auf die Idee. Ich glaube, ich wollte seinen Tod einfach nicht wahrnehmen und schlief fast nur noch. Dann besuchte mich eine Freundin und wir gingen gemeinsam zum Friedhof. Dort fanden wir das Grab zunächst nicht, mir fehlte in jeder Hinsicht jegliche Orientierung. Wäre mir das ohne sie passiert, wäre ich wohl durchgedreht. Ab da bin ich täglich zum Westfriedhof gelaufen, eine knappe Stunde hin und wieder zurück, bei jedem Wetter.

Die Holztafel, die in der Abschiedshalle aufgestellt war, stand nun am Grab und ich war froh, dass es keinen Druck von Seiten der Friedhofsverwaltung gab, diese durch einen Stein zu ersetzen.

Wie es mir nach Gerds Tod erging

Dieser tiefe Schmerz, der alles andere auslöscht, ist nicht zu beschreiben. Es existiert keine Umwelt mehr, andere Menschen sind nur Schattenwesen, die gesamte Wahrnehmung ist wie durch ein Tuch gefiltert. Angstzustände, Panikattacken, hysterische Anfälle, heulen und schreien, auch am Telefon mit Freunden, Psychotherapie, fachliche Trauerbegleitung, Krisentelefon für die heftigsten und kritischsten Zustände, Notarzteinsätze, schließlich Einlieferung in die Psychiatrie des Klinikums Nord, in die Abteilung für Depression. Ich wollte nur ein Bett und die Gewissheit, dass immer jemand da ist und auf mich aufpasst. Hier wurde ich dabei unterstützt am Leben zu bleiben. Nach drei Wochen wechselte ich in eine psychosomatische Klinik im Allgäu, in der ich sieben Wochen geblieben bin. Hier hat man mir den Weg zurück ins Leben geebnet. Das Leben ging weiter, der Schmerz blieb, Gerd fehlte und fehlt unendlich. Und es war noch ein langer Weg bis zu meinem eigenen Leben ohne Gerd. Therapie und Trauerbegleitung hatte ich weiterhin. Jahr für Jahr verging und ich fand Stück für Stück zu mir selbst zurück, fand meine Stadt mit Cafes und Restaurants nach und nach wieder. Meine Vermeidungsumwege wurden im Laufe der Zeit immer kleiner. Nach der letzten großen Krise zum 5. Todestag habe ich Frühjahr und Sommer des Jahres 2022 nahezu unbeschwert erleben können, geradezu wie ein Phönix aus der Asche. Musik genieße ich nun auch für mich allein, dennoch kann es eine Abspaltung des Blues von Gerd nie geben. Die obligatorische Zigarette rauche ich nach wie vor bei jedem Konzert, inzwischen ohne Tränen.

Tributes für Gerd

Konzert von Neal Black & The Healers

Für den 5. April 2017 war, wie fast jedes Jahr nach 2012, Neal Black & The Healers für ein Konzert in der Kofferfabrik angekündigt. Neal wollte nun diesen Abend als Tribute für Gerd verstanden wissen und so entstand die Idee, dass bei seinem Konzert einige Nürnberger Musiker einsteigen könnten. Nach der Vorankündigung in der Nürnberger Presse platzte die Kofferfabrik aus allen Nähten. Es war ein zugleich wunderbarer und emotional sehr schwieriger Abend. Ich habe es geschafft, ein paar Worte zu sagen, Gerds T-Shirt mit der Aufschrift „keepin‘ the Blues alive.“ umklammernd. Gerd war bei uns, wir alle haben gespürt, dass er zu uns runterschaut. Und wieder hätte er ganz bescheiden gesagt, „…das braucht‘s doch nicht…“. Doch lieber Gerd, das hat es gebraucht! 

Dank den teilnehmenden MusikerInnen. Es waren außer den Healers dabei: Peter Pelzner, Wolfgang Bernreuther, Chrissie the Cat, Angelika Traurig, Reinhold Engelhardt.


Konzert mit den Stimulators

Am 30. April 2017 fand in Guys Weinhaus das seit Jahren übliche Konzert mit den Stimulators statt.  Ich habe es mir eigentlich nicht zugetraut dort hinzugehen. Bin dann aber auf „Zureden“ von Frau Zuger und vor allem aufgrund der Ankündigung von Peter Schneider, dass auch er dieses Konzert Gerd widmen wollte, doch nach Wendelstein rausgefahren. D.h. ich bin von einer Freundin abgeholt und wieder nachhause gebracht worden. Es war für mich ein herzzerreißender Abend. Peter erzählte viele kleine Geschichten, die sich im Laufe von 20 Jahren Festival ereignet hatten, immer wieder sprach er über Gerd und zu Gerd im Blueshimmel. Neben der wunderbaren Musik der Stims war der Abend eine großartige Hommage. Dank an Peter, Uli, Florian, Oliver und Hans für diesen würdigen Abend.

1. Bluesnacht für Gerd im Hirsch

Die Idee zu diesem Gedenk-Konzert am 22. Februar 2018 hatte ursprünglich Peter Schneider, der bedauert hatte, nicht an Gerds Beerdigung teilnehmen zu können. Mir ging dieser Gedanke nicht aus dem Kopf und ich stieg in die Planung ein. Geschafft habe ich das Ganze wohl wieder nur, weil es für Gerd war. Für ihn hatte ich die Kraft, die ich für mich kaum aufbringen konnte. Den größten Teil der Organisation habe ich aus der Klinik im Allgäu geleistet. Die Vorankündigung sowie Vorverkauf sollten vor Weihnachten 2017 anlaufen.

Ich habe die Bands engagiert, mich um den musikalischen Ablauf gekümmert, Flyer und Plakatvorlagen entworfen. Peter Harasim hat die komplette Organisation der Plakatierung und Kartenabwicklung übernommen und mir den Hirsch mitsamt Technik und Personal zum Freundschaftspreis überlassen, Peter Schneider war als Musical Director für Soundcheck und den reibungslosen musikalischen Ablauf des Abends zuständig. Als wir zum Schluss zu Dritt auf der Bühne standen, war es ein freundschaftliches Gefühl, dies gemeinsam zustande gebracht zu haben. Es kamen über 300 Besucher, ich bin begrüßt, umarmt worden, es liefen Tränen…

Der Clou des Abends war vor Konzertbeginn der Auftakt mit der Nürnberger New Orleans Rhythm Brass Band. Sie haben die Besucher empfangen und sofort die Erinnerung an Wendelsteins Streetparade wachgerufen. New Orleans Feeling und Gerd schwebten über uns. Es war ein Konzertabend, der Beachtung in der Presse fand und nach Wiederholung rief.

2. Bluesnacht für Gerd im Hirsch

Am 25. Januar 2019, ein Abend vor Gerds Geburtstag, fand die zweite Bluesnacht statt. Um 24.00 haben wir einen kurzen Moment innegehalten um an Gerd zu denken und ihm dann noch ein Lied zu widmen. Drei Tage später war schon sein 2. Todestag.

Wieder spielte die New Orleans Rhythm Brass aus Nürnberg vor dem eigentlichen Konzertbeginn zur New Orleans Einstimmung. Ein besonderer „Leckerbissen“ an diesem Abend war der Auftritt von Ron Ringwood mit seinem Trio. Trotz vieler Nachfragen nach einer weiteren Bluesnacht, entschied ich mich aus vielerlei Gründen dagegen, was sich sehr bald als gute Entscheidung herausstellte, da sich Corona ankündigte. So blieben die beiden Gerd-Huke-Gedenk-Bluesnächte bei allen Beteiligten in bester Erinnerung und ich war froh und stolz, diese Tribute-Abende für Gerd veranstaltet zu haben.



Denkmal für Gerd am Westfriedhof

⊙ Nürnberg, Westfriedhof, Areal 84, Grab 62-64

Im April 2020 wurde die Holz-Skulptur auf Gerds Grabstätte am Westfriedhof installiert. Mein Vorhaben war, an diesem Tag direkt am Grab eine kleine „Einweihungsfeier“ mit Livemusik und zu veranstalten. Der Tag war mit Friedhofsverwaltung, Steinmetz H…und Holz-Bildhauer Clemens Heinl vereinbart, Musiker haben zugesagt, die Einladung war rausgeschickt, aber… die Einschränkungen durch die Corona Pandemie haben die Party verhindert. So war ich beim Aufstellen der Trauerbank allein mit dabei und habe Musik per MP3 Player gehört. 

Die Vorgeschichte

Die hölzerne Gedenktafel hätte ich als immerwährendes Grabmal stehen lassen können. Für mich sollte sie aber nur ein Provisorium sein, zumal das Holz unter den Witterungsbedingungen doch arg gelitten hat. Ich spazierte über alle möglichen Friedhöfe um mir Inspiration zu holen. Daraus ergab sich, dass ich recht bald wusste, was ich nicht wollte, nämlich einen sterilen und nichtssagenden Marmorstein. Ich wollte Kunst am Grab. Naheliegend war, irgendwas Aussagekräftiges mit Musik, CDs, Noten o.ä. zu gestalten. Ich traf mich mit einem professionellen Steinmetz, der für den Westfriedhof die Zulassung hatte und von dem ich wusste, dass er künstlerische Ideen hatte. Mit Herrn Hirschbeck führte ich viele Gespräche, erzählte ihm von Gerd, schilderte und skizzierte meine Vorstellungen. Mit viel Geduld entwarf er immer wieder neue Skulpturen aus unterschiedlichen Materialien. So ist viel Zeit und viel Arbeitsaufwand vergangen. Irgendwann hatten wir uns für ein „Werk“ entschieden, ließen die Idee aber zunächst ruhen. Das war gut so. Meine Entscheidung wie auch seine Meinung waren, dass dieser Entwurf meinem Mann nicht gerecht werden würde. So vereinbarten wir, dass er weiterhin als offizieller Steinmetz weiter mit mir und einem eventuellen Künstler arbeiten würde. Meine nächste Idee war Pop-Art. Durch Zufall geriet ich an den Holz-Bildhauer Clemens Heinl und vereinbarte, obwohl ich eigentlich kein Holz wollte, mit ihm ein erstes Treffen. Wieder fanden lange Gespräche statt, wurden Skizzen, Entwürfe, Ideen ausgetauscht. Während des Besuchs seiner Kunstausstellung in Schwabach, wusste ich plötzlich, was ich wollte: Gerd sitzend an einem Bistrotisch mit Zigarette und Espresso. Wieder folgten Skizzen und Entwürfe. Es wurde dann doch eine Bank, auf der ich meinen Trauer-Platz neben der real großen Figur hatte.  Die beste Entscheidung nach drei Jahren, die ich habe treffen können.

Das Genehmigungsverfahren

Während meiner Findungsphase habe ich auch Kontakt zum Friedhofsamt aufgenommen. Dort traf ich glücklicherweise auf Herrn Gärtner, der für die Beratung und Ausführung des Genehmigungsverfahrens zuständig war. Wieder Glück gehabt. Er hat mir zugehört, meine Wünsche und Vorstellungen von etwas ganz Besonderem verstanden, mit viel Sachverstand Vorschläge gemacht, verworfen, mit mir neue Ideen entwickelt. Beteiligt werden musste auch der Chef der Friedhofsverwaltung vor Ort. Auch hier fanden Gespräche über die mögliche Gestaltung statt. Den Antrag musste Herr Hirschbeck stellen, da man eine Zulassung für das Aufstellen eines Grabmals braucht. Die Zusammenarbeit mit ihm und dem Künstler Clemens Heinl klappte hervorragend. Am Schluss des gesamten Verlaufs saßen wir zu sechst am Tisch des Büros am Westfriedhof, erläuterten, besprachen die Skizzen, sprachen über die Ausmaße der Skulptur und nahmen eine Begehung am Grab mit Maßband vor. Das Ergebnis war, dass ich zwei weitere Grabflächen hinzukaufte und die Errichtung der Holzskulptur nicht nur genehmigt, sondern auch, so mein Eindruck, begrüßt wurde.



Im Jahr 2021 kümmerte ich mich um sämtlichen Vorsorgen im Falle von Krankheit, Tod und Erbe. Ich legte testamentarisch fest, dass Gerds Skulptur der Stadt Nürnberg vererbt wird mit der Maßgabe, sie so lange wie möglich, auch nach Ablauf meiner sog. Liegezeit, zu erhalten. Als eingetragenes Friedhofsdenkmal wird die Trauerbank auch nach Auflösen unserer Grabstätte weiterhin bis zum Verfall bestehen bleiben. Wieder einmal ist meinem Wunsch nachgekommen worden.

Verwunderung, Bewunderung, Akzeptanz

Mir war ehrlich gesagt nicht klar, welche Aufmerksamkeit und Erstaunen die Skulptur hervorrufen würde. Von Friedhofsangestellten, die schon die bemerkenswerte Bestattung mitbekommen hatten, über Presse, Neugierige, Fans von Gerd, Spaziergänger, Zufallsbesucher bis zu Trauernden, die selber ein Grab besuchten. Ich hatte im Laufe der Jahre viele beeindruckende und auch emotionale Gespräche am Grab. Immer wieder aber kam die Frage, „ja, ist denn das erlaubt?“ Ja, dieses besondere Grabmal für einen besonderen Menschen ist erlaubt, befürwortet, genehmigt und sogar gern gesehen.


Traueranzeigen

Mein Leben von 2018 bis 2022

Mein Leben ging selbstverständlich nicht ohne Gerd weiter. Er war immer anwesend, von früh bis zum Einschlafen. Aber es gab immer mehr Tage ohne Tränen. Irgendwann kam der Wunsch auf, wieder in Konzerte zu gehen. Mir war klar, dass ich diesen Schritt nicht zu lange hinauszögern dürfte, sonst würde ich den Mut nicht mehr aufbringen. Die Vorstellung, ohne Gerd an meiner Seite „unsere“ Musik zu hören schien mir fast unmöglich. Es war klar, dass ich als erstes in den Hirsch gehen würde in der Annahme, dass ich dort Bekannte treffen würde, aber in jedem Fall Peter Harasim, der mich zu diesem Schritt ermuntert hat. Als Probelauf habe ich mir Nils Landgren ausgesucht, weil mir purer Blues zu emotional gewesen wäre. Den Weg vom Auto bis zum Hirsch habe ich mit wackeligen Beinen geschafft. Im Vorraum habe ich mich eng an die Wand gestellt. In dem Moment, als mir die Tränen zu laufen begannen, kam gottseidank Peter Harasim auf mich zu, nahm mich in den Arm und ich beruhigte mich. Ich blieb noch nicht mal bis zur Pause, aber es war ein erster Schritt. Wann immer ich nun ein Konzert besucht habe, traf ich auf viele Menschen, die mich begrüßten, die mich fragten, wie es mir gehe, die mich in den Arm nahmen. Das half. Irgendwann gab es ein Konzert, bei dem ich bis zum Ende des Abends geblieben bin und sogar eine der Letzten war, die den Hirsch verlassen haben. Weitere Konzertbesuche folgten, auch in der Kofferfabrik und anderen Lokalitäten. Stand Gerd in den ersten Jahren noch neben mir, so konnte ich im Laufe der Zeit Konzerte immer mehr auch für mich allein genießen. Pure Freude stellte sich allerdings erst nach fünf Jahren im Frühjahr 2022 ein.

Parallel dazu wurde meine Furcht geringer, Cafes oder Restaurants zu besuchen, in denen Gerd und ich gemeinsam waren. Auch hier war es so, dass mich Menschen, die mich von früher kannten – meistens ehemalige Gäste- aufgefangen haben bzw. Gastwirte wie z.B. Franco vom gleichnamigen Cafe mich freundlich in Empfang nahmen. Wichtig war für mich, dass ich meine Trauer zeigen durfte. Man hörte mir zu, nahm mich in den Arm, Tränen durften fließen.

Der größte und schmerzhafteste Schritt aber war der Umzug in eine kleinere Wohnung. Ich wusste, dass ich aus finanziellen Gründen nicht in unserer Wohnung bleiben konnte, sträubte mich aber innerlich dagegen sie zu verlassen. So war es Zufall, dass mir ganz in der Nähe eine Wohnung angeboten wurde. Diese wurde renoviert und war im Frühjahr 2018 bezugsfertig. Sie hatte alles, was ich brauchte, und ich konnte in meinem Stadtviertel St. Sebald bleiben. Aber ich musste mich erheblich verkleinern und es stellte sich vor allem die Frage, wohin mit Gerds Sachen. Er war noch kein Jahr tot und ich war kaum bereit mich von seinen Dingen zu trennen. Kleidung brachte ich zu Oxfam, d.h. Freunde brachten die Kisten dort hin, ich hätte es nicht ertragen können. Aber die Entscheidung mich von seinen CDs und den Schallplatten zu trennen brachte mich beinahe um den Verstand. Auf der einen Seite war klar, ich würde sie nicht unterbringen können, auf der anderen Seite verkörperten sie Gerds gesamtes Leben. Ich würde ihn ein zweites Mal aus meinem Herzen reißen müssen… Nach dem Abwägen vieler Möglichkeiten entschied ich mich, sie einem professionellen Händler zu verkaufen, den ich durch Empfehlung gefunden hatte. Die Entscheidung, welche CDs und Platten ich behalten wollte, musste nun in kurzer Zeit fallen. Ich habe es intuitiv getan und sicherlich einige Schätze weggegeben. Viel leichter fiel es mir, meine eigene CD-Sammlung und meine große Büchersammlung zu dezimieren. Der Umzug war eine emotionale Achterbahn und ein Kraftakt. Das Eingewöhnen in die neue Wohnung hat lang gedauert, ich bin aber in einem netten nachbarschaftlichen Haus angekommen und freue mich heute, diese Entscheidung damals, wenn auch mit Schmerzen, getroffen zu haben. Inzwischen sitze ich wieder entspannt in Cafes und tue das, was wir zu zweit so gern und ausgiebig gemacht haben: „Einfach dahock‘n und dumm schau‘n“.

Gerd wird nie fort sein, aber nun beginne ich mein neues Leben.

Gabriele im Januar 2023

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