Sein Wirken
Das Festival
Vorwort
Mit der Nullnummer des gelben Programmheftes zum ersten Festival 1994 hat Gerd für die nächsten Jahre das Layout, die Farbe und die Struktur des Heftes im Großen und Ganzen festgelegt. Die Abbildung war ebenso auf Plakat und Flyer zu sehen und wurde für alle Veröffentlichungen verwendet. Die Farbe Gelb wurde bis zum Schluss beibehalten. Das Titelblatt zeigt den Abdruck eines Gemäldes des Wendelsteiner Malers Jonathan, welches dieser extra für das Festival angefertigt hat. Es sollte kurz gesagt „New Orleans meets Wendelstein“ ausdrücken. Und das ist durchaus gelungen. Somit gab es durch Farbgebung und Motiv einen großen Wiedererkennungswert. Das ist durchaus gelungen, wenn auch aus heutiger Sicht so nicht mehr vertretbar. Wir waren damals schon im Zweifel darüber, ob die Gesichter der Musiker als ironisch übertrieben, karikiert oder rassistisch wahrgenommen würden. Auf der anderen Seite gab es durch das Motiv und die Farbgebung eine großen Wiedererkennungswert. Dieses Motiv hat Gerd bis 2006 beibehalten. 2007 bis 2009 zierten die Titelseite verfremdete Fotos von teilnehmenden Musikern. Auf den letzten drei Heften, Flyern und Plakaten war jeweils das Originalfoto eines Musikers zu sehen, daneben waren alle Bands aufgeführt. Gedruckt wurde das Heft vom Verlagshaus Seifert+Wiedemann, verantwortet durch Jürgen Seifert, finanziert mit Anzeigen ansässiger Firmen. Jürgen Seifert hat für Gerd zum 10. Festival alle Hefte binden lassen und dann nochmals die letzten neun. Eine sehr schöne Geste. Die beiden gewichtigen Bücher liegen bei mir unter der Stereoanlage.
Statt eines Vorwortes…
von Gerd ein paar Sätze zu New Orleans, zur New Orleans Music und zum Festival 1994
Der Frankokanadier Jean Baptiste Le Moyne, Sieur de Bienvielle, gründete im Jahre 1718 an einer Flußbiegung des Mississippi La Nouvelle Orleans, benannt nach Philippe, dem Herzog von Orleans und damaligem Regenten Frankreichs. Den Plan entwarf Pierre Le Blond de la Tour, Befehlshaber der Pioniertruppen in Louisiana. Sein Assistent Adrien de Pauger legte nach diesem Entwurf die Straßen an. Sie bilden heute das Vieux Carre oder French Quarter in New Orleans, wo die bekanntesten Jazzclubs sind. Die meisten Straßen haben ihre alten Namen behalten: Chartres, Royal, Bourbon, Conti, St. Louis, Toulouse - Namen zu Ehren der (französischen) königlichen Familie oder besonders geschätzter Heiliger. Im Jahre 1803 verkauft Napoleon Louisiana mit New Orleans für 15 Mio. Dollar an die Amerikaner zur Aufstockung seiner Kriegskasse.
In New Orleans lebten vor der Jahrhundertwende Weiße aus aller Herren Länder und Schwarze - und zwar „kreolische“ und „amerikanische“. Anders als die „amerikanischen“ waren die „kreolischen“ Schwarzen keine Nachkommen von Sklaven, sondern entstammten einer französisch-kolonialen Mischkultur. Die Kreolen trugen in der Regel französische Namen und waren zumeist wohlhabend, die anderen Schwarzen bettelarm. Aber beide Gruppen waren nur ein Teil jenes lebensprallen Patchworks der Hautfarben und Rassen, das New Orleans zu dieser Zeit war (und heute noch ist): Franzosen, Italiener, Spanier, Slawen, Deutsche und ehemalige Bewohner der Karibik gehörten dazu (über 30 Nationen). In diesem Hexenkessel der Kulturen brodelten die Ingredienzen, aus denen der Jazz entstehen sollte.
Jazz war von Anfang an eine sinnliche Angelegenheit. Und so it es nicht verwunderlich daß er zuerst dort ein Forum fand, wo es um die professionelle Vermarktung von Sinnlichkeit und Körperlichkeit ging: in den Bordellen von Stor wille, dem Roflichtbezirk von New Orleans. Überall herrschte dort das laut tönende Chaos: spanische Tänze, englische Volkslieder, deutsche und italienische Märsche, französische Ballettmusik - ein dampfender Schmelztiegel der Kulturen, Körper und Klänge. In den Kirchen sangen Katholiken, Baptisten, Puritaner und Methodisten ihre Lieder, während nebenan das Geschäft mit dem Sex blühte und entsprechend musikalisch begleitet wurde. So blies auch der große Louis Armstrong seine Trompete zuerst im Bordell von Lulu White. Und so wurde New Orleans die Geburtsstadt des Jazz.
Die neue Art von Musik begann nach dem Roflichtbezirk die Tanzhallen der Schwarzen zu erobern - und es dauerte nicht lange, bis auch die Weißen diese Musik entdeckten urd salonfähig machten. Auf allen Festen, Paraden und Picknicks war die neue Musik plötzlich präsent.
1917 wurde New Orleans eine Basis der US-Navy. Nach den damals gültigen Gesetzen mußten deshalb die meisten „Vergnügungsstätten“ (wegen der „bedrohten Moral der Truppen“) schließen. Die dadurch ausgelöste Krise der „Vergnügungsindustrie” führte zum Exo-dus vieler Musiker, von denen die Mehrzahl in Chicago, aber auch in New York neue Arbeit fanden. New-Orleans-Musiker wie Louis Armstrong, King Oliver, Johnny Dodds oder Jimmy Noone waren über Nacht die Sensation und inspirierten viele lokale Musiker und die Entwicklung des Chicago-Jazz
Ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung ging die originale Form des Jazz durch diesen Exodus nicht verloren, sondern wurde an seinem Geburtsort New Orleans lebendig erhalten. New-Orleans-Jazz und die nahen Verwandten Blues und Gospel haben seither in dieser Stadt viele Entwicklungen mitgemacht. Zusätzlich hat das einmalig intensive Musikleben in der Crescent City neue musikalische Phänomene wie Zydeco, Rhythm & Blues und Soul hervorgebracht. Alle diese Musikstile werden heute unter dem Sammelbegriff „New Orleans Music“ zusammengefaßt. Zu den Vertretern dieser Musikrichtung gehören so klang volle Namen wie Wynton Marsalis, Dr. John, Neville Brothers, Dirty Dozen Brass Band Willy DeVille, Dejan's Olympia Brass Band, Johnny Adams, Marva Wright, Zachary Richard, Jamil Sharif, Lynn August, Fats Domino, Allen Touissant - um nur die bekanntesten zu nennen. Ihre Aufzählungen zeigt die Bandbreite der heutigen New Orleans Music Diese Bandbreite vermag es immer wieder, die Zuhörer/innen in ihren Bann zu ziehen Und genau das wollen wir mit unserem Festival: Sie in den Bann ziehen mit der großen Vielfalt der New Orleans Music. Und darum ist dies kein Jazz-Festival im engeren Sinne sondern ein Music-Festival im besten Sinne: ein New-Orleans-Music-Festival eben.
Die konsequente Beschränkung auf einen einzigen Musikstil, nämlich den von New Orleans, wird sicher einer der Grundpfeiler für den Erfolg dieser Veranstaltung sein.
Übrigens: Den Auftakt zu diesem Festival feiern wir bereits am Donnerstag, den 24. März '94, um 20 Uhr in der Schwarzachhalle im Ortsteil Röthenbach St. W. mit einem Zydeco-Star-Gastspiel mit The New King of Zydeco: Lynn August & The Hot August Knights aus Lafayette / Lousiana. Dort können Sie sich schon einen ordentlichen Vorgeschmack auf die musikalische Qualität des Festivals holen.
Ihnen allen eine gute Zeit beim Wendelsteiner Festival - und vergessen Sie nicht: Durch Jhren Besuch entscheiden Sie mit, ob dieses Festival eine feste Einrichtung wird. In diesem Sinne: Laissez les bon temps rouler - let the good times roll!
Gerd Huke, Leiter des Wendelsteiner Kulturreferats
Statt eines Vorwortes beschrieb Gerd mit dem oben abgedruckten Text die Herkunft der Musik, die er in Zukunft in Wendelstein präsentieren wollte. In jedem weiteren Heft fand sich stets eine Einführung zum Thema und zur Musik. Ab dem zweiten Festival hatte die Broschüre eine feste inhaltliche Aufteilung: Touristische Eigenwerbung der Marktgemeinde für Besucher, eine Inhaltseite, einführende Worte des Festivalmachers, Dankesworte an Unterstützer, Eintrittspreise, Vorverkaufsstellen, Unterkünfte, Anfahrt mit Lageplan und selbstverständlich Grußworte von: Bürgermeister Wolfgang Kelsch, Landrat Herbert Eckstein und dem Bürgermeister von New Orleans, Marc H. Morial, dessen Schreiben mir im Original vorliegt.
Ab dem 3. Festival gab es zur schnelleren Orientierung in der Mitte auf der Doppelseite das gesamte Programm im Überblick. In den ersten Jahren konnte noch jede Band auf einer ganzen Seite beschrieben werden, das änderte sich recht bald. Das Heft nahm mit der Anzahl der Veranstaltungen zwar an Umfang zu, dennoch blieben für die Texte oft nur halbe Seiten. Das Inhaltsverzeichnis musste von Jahr zu Jahr in kleinerer Schrift gedruckt werden um auf eine Seite zu passen. Waren es im dritten Jahr nur 34 Bands, so konnten wir im Jahr 1998 zum fünften Festival schon 58 Gruppen begrüßen. Ab ´98 hatte Gerd nun auch eine neue Einteilung für die Bandbeschreibungen vorgenommen, er ordnete nach den Veranstaltungsorten. Ab dem 10. Festival war die Reihenfolge nach Datum sortiert, was den Überblick erleichterte.
19 Jahre Festival mit Hunderten von MusikerInnen: Viele wunderbare Gruppen und Solisten werden wieder unerwähnt bleiben. Mein Leitfaden durch die Jahre sind Fotos, Texte, persönliche Vorlieben, Erinnerungen und Gefühle.
19 Jahre New Orleans Music Festival
Nach dem grandiosen Erfolg in 1993 mit der Treme Brass Band wagte Gerd den Schritt in ein erstes Festival. Er wollte die New Orleans Musik bekannt machen um zu zeigen „where it all comes from“ und wie sich die Bandbreite des Blues und Jazz von den Ursprüngen an weiterentwickelt hat. Diese echte Volksmusik sollte viele Fans finden. Durch die Kontakte nach Ascona und zum Veranstalter in Kempten, der beim Jazzfrühling auch Bands aus New Orleans präsentierte, lag es nahe sich bei einigen Buchungen zusammenzutun und so legte Gerd „sein Festival“ auf Anfang Mai. Damit sich der Zeitpunkt einprägen konnte, bestimmte er den Zeitraum um den 1. Mai herum, später wurde es der Samstag vor dem 1. Mai bis zum Samstag/Sonntag nach dem 1. Mai. Damit konnte der Termin schon im Voraus in den Kalender eingetragen werden.
Nach dem Auftakt mit einem Vortrag über New Orleans von Hannes Anrig, Ascona Promoter, umfasste das erste Festival von Mittwoch bis Sonntag schon fünf Tage mit zehn Konzerten. Mir war jetzt nach fast 30 Jahren nicht mehr bewusst, dass Gerd im allerersten Jahr schon eine Struktur mit unterschiedlichen Veranstaltungsarten angebahnt hatte: Straßenparade(n), Frühschoppen, Hallenkonzerte, Jam-Session, Bluescafe. Veranstaltungsorte waren zunächst die Hauptstraße, die Schwarzachhalle, die Jegelscheune, der Jugendtreff, also Gemeinde eigene Räumlichkeiten sowie die St. Georgskirche Kirche für Gospel. Gerd hatte von Beginn an im Sinn, ein Flair wie in New Orleans aufzubauen. Er wollte Musik in die Gaststätten bringen, was beim ersten Mal aufgrund der Zurückhaltung der Wendelsteiner Gastwirte nach dem fränkischen Motto „soll mal erst der andere anfangen“ nicht klappte.
Überreden konnte Gerd erfreulicherweise den Pächter vom „Grünen Baum“ am Marktplatz. Hier fand erstmals ein Dixiefrühschoppen mit einer lokalen Band statt, so dass Besucher garantiert waren. Danach konnten sich Besucher außen an den Biertischen bedienen lassen und der Brassband entgegen schauen. Es war ein voller Erfolg, der weitere Gastwirte animierte, sich bei Gerd um Konzerte zu bemühen. Für die Sonntage wurde verstärkt Außengastronomie beantragt, so dass der Altort mit New Orleans Musik zum Leben erwachte. Das „Hotel zum Wenden“ und der „Goldene Engel“ mit fam. Wöllmer schlossen sich an sowie der „Kleine Grieche“. Im „Gelben Löwen“ im Ortsteil Röthenbach gab es eine Kunstaustellung zum Thema „Blues & Jazz“ zu sehen. Im dritten und vierten Jahr „erwachte“ ganz Röthenbach und die Gasthäuser „zur Post“, „zur Goldenen Krone“, „zum Ludwigskanal“ sowie der „Küblerhof“ und die FV-Gaststätte wurden zu Mitveranstaltern.
Ja, und eben dieser Erfolg animierte weitere Gastwirte, doch auf Gerd zuzukommen und sich für Konzerte bzw. Ausschanklizenzen zu interessieren. Gerd nach dem Festival „Sie kamen alle…“. Und so wurde das Angebot erweitert. Das Hotel „Zum Wenden“ machte mit, der „Goldene Engel“, Fam. Wöllmer hatte gleich den Blues. Im „Gelben Löwen“ im Ortsteil Röthenbach fand eine Kunstaustellung zum Thema Blues & Jazz statt. Im dritten und vierten Jahr sprangen auch die letzten Zauderer mit auf. Röthenbach erwachte. Es machten nun über die Jahre in Folge mit: „Gasthaus zur Post“, Fam. Brunner, „Zur Goldenen Krone“ mit Kneipe und Saal, der „Küblerhof“, „Hotel zum Ludwigskanal“ und die FV Gaststätte. In Wendelstein beteiligte sich Janni vom „Kleinen Griechen“ begeistert mit vielen kleinen Blueskonzerten, schon mittags ging hier auf engstem Raum die Post ab.
Für diese spezielle Atmosphäre eines New Orleans Festivals war von Anfang an das gute Gespür von Gerd ausschlaggebend. Die Auftrittsorte sollten zur Musik passen, die Gastwirte möglichst „kompatibel“ mit den Musikern sein. Passte es einmal nicht, so plante er für das nächste Jahr um. In vielen Spielstätten blieb die Musikrichtung in etwa gleich, z.T. sogar die Bands. Das sorgte auf der einen Seite für enormes Wohlgefühl bei allen Beteiligten, nicht zuletzt natürlich bei unseren Gästen, für die all das stattfand.
Gerd versuchte vielen Wünschen gerecht zu werden, aber seine Bandauswahl fand immer so statt, dass sowohl alte Bekannte als auch ein hoher Anteil an neuen Bands auftrat. Vielfalt und musikalische Überraschungen waren ihm wichtig. Das Konzept und der Name New Orleans Music Festival sollte allen Vorurteilen, dass es sich um ein reines Dixielandfestival handeln könnte entgegentreten. Die musikalische Bandbreite und die hohe Qualität von Anfang an sollte einem „Schrumpel-Dixie-Image“ vorbeugen. Die einzigartige Festivalstimmung (Musik und Tanz in allen Gassen) wurde durch ausgefallene Orte wie z.B. Autohäuser, Tankstellen und Guy’s Weinhaus bereichert. Finanzielle Unterstützung fand Gerd bei Unternehmen, die sich dem Ort verbunden fühlten und zum Engagement des Kulturreferenten für die Marktgemeinde beitragen wollten.
»BACKSTAGE«
Unterstützer
Die Frage des Sponsering stellt sich nicht nur, aber insbesondere bei der Kultur. Was sollen, dürfen Sponsoren bewirken, was dürfen sie als Gegenleistung erwarten? Zunächst sollten Flyer und Programmheft (mit)finanziert werden. Seifert/Wiedemann sammelte dafür Anzeigen, die aber das Heft nicht dominieren sollten. Der Erfolg war nicht so durchschlagend, so dass ich nach einigen Jahren gefragt wurde, ob ich mithelfen könnte. So kam ich wieder zu einem neuen Job, Anzeigensammlerin. Ich stellte es mir einfach vor, es war alles andere als das. Es war z.T. niederschmetternd, nach manch einem Telefongespräch war ich den Tränen nahe und auch wütend. Ich habe auf meine stets höfliche, ruhige und erklärende Anfrage tatsächlich Antworten gehört wie „Was interessiert uns denn Wendelstein mit seinem Festival“. Und das von Firmen, die sich im Ort wegen der guten Infrastruktur und der günstigen Bedingungen angesiedelt hatten. Dann habe ich es mit einem offiziellen Begleitschreiben von Bürgermeister Kelsch versucht. Das war auch nicht so erfolgreich. Weil es um das Festival ging, habe ich weitergemacht. Irgendwann „erwischte“ ich dann die „richtigen“ Firmen, familiengeführte Inhaberbetriebe, die sich dem Ort tief verbunden fühlten und Gerds Schaffen verfolgt hatten. Und da diese den Namen Huke kannten, war es für mich nun leichter, Anzeigen zu bekommen. Kontakte zu einigen Wendelsteiner Firmen gestalteten sich zunehmend vertrauter. Es hieß dann schon mal im November/Dezember bei meiner ersten Telefonrunde im freundlichen Ton „Ach, Sie schon wieder…“ oder „Allmächt‘, ist schon wieder ein Jahr rum“. Die Sponsoren bekamen von Gerd im Gegenzug eine bestimmte Anzahl von Freikarten mit Sitzplätzen in der ersten Reihe und wurden von ihm jeden Abend bei den Begrüßungsworten namentlich erwähnt. Vielen Besuchern wird dieser Teil seiner Ansage in Erinnerung geblieben sein. Die meisten der Sponsoren erlebten durch diese „Ehrenplätze“ ihre ersten Jazz- und Blueskonzerte.
Frau Steinl von der Fördergemeinschaft „Gutes Hören“ und begeisterter Fan des Festivals wurde durch Gerds Dankesworte als besondere Sponsorin bekannt. Vor allem durch die Erwähnung der von ihr gespendeten Ohrstöpsel zum Auslegen, was allabendlich zu Gelächter führte.
Unterstützt wurde Gerd auch durch das Arvena-Hotel in Langwasser. Herr Oskar Schlag, der selber regelmäßig einen Jazzbrunch veranstaltete und Gerd mit seinem Engagement sehr schätzte, machte ihm äußerst günstige Zimmerpreise. Die Musiker, die dort übernachteten, wussten den Service eines 4* Hotels zu schätzen. Zuweilen fand in der Nachtbar eine inoffizielle private Session statt.
Auch Geldspenden stockten den Kulturetat ein wenig auf. Musikalische Wünsche konnten dadurch nicht erfüllt werden. Hilfreich waren Sachspenden, z.B. sorgten eine Tankstelle und Autohäuser für den Musikershuttle. Der Druck der Eintrittskarten (in vordigitalen Zeiten) wurde übernommen. Eine Firma brachte in einem Jahr kurzfristig Bauheizungen vorbei als es unter der Woche einen enormen Kälteeinbruch gab und die vorhandenen Heizgeräte das Zirkuszelt nicht ausreichend wärmen konnten. Von einer Bäckerei bekamen wir täglich leckeres Gebäck für unseren Backstage-Raum in der Veranstaltungshalle. Dies alles war wohl nur möglich, weil wir vor Ort wohnten, dort verankert waren und Gerd gute Kontakte pflegte. Nun wusste auch ich, dass es wichtig und richtig gewesen war, „auf’s Land“ zu ziehen.
1994
Presseüberschriften:
- „Wendelstein im New-Orleans-Fieber. Einmaliges Ereignis für Süddeutschland. Ausgezeichnete Musiker zu Gast.“
- „Ehrgeiziges Konzertprogramm.“
- „Bluesfans in den Startlöchern.“
- „Neue Veranstaltung wurde zu einem großen Erfolg“
Zitate aus einem ersten Interview 1994 im Schwabacher Tagblatt:
ST: Wird von einem New Orleans Festival aber nicht nur Dixieland Musik erwartet?
Huke: Natürlich ist dies ein wichtiger Bestandteil dieser Musikrichtung, der von uns auch entsprechend gewürdigt wurde. Doch die Besucher sollen sich keine Scheuklappen aufsetzten. New Orleans bringt viel lebendige Musikrichtungen hervor. Das geht von Dixieland, über Gospel bis zum Blues.
ST: Soll dieses Festival der Auftakt zu einer festen Institution werden?
Huke: Geplant ist dies schon. (…) Die vielen Anfragen aus der ganzen Bundesrepublik zeigen an, dass der Bekanntheitsgrad von Wendelstein gesteigert wird. (…) Die Besucherzahlen werden also für oder gegen ein „New-Orleans-Festival stimmen.
Die Zahlen waren eindeutig. Das Festival war so erfolgreich, dass Gerd gar nicht anders gekonnt hätte als weiterzumachen.
Dies ist die letzte Seite des Programmheftes von 1994. Darauf zu lesen sind Unterschriften von Musikern und Musikerinnen der Norbert Susemihl Band, Jamil Sharif‘s New Orleans Jazz Professors, Maggie Kinson’s Bourbon Street Revue und Marva Wright & The BMWs. Diese vier Bands und die Joyful Gospel Group kamen direkt aus New Orleans. Eine Band aus Norwegen, eine aus Italien sorgten ebenso für echte New Orleans Musik.
Die nächtlichen Jam-Sessions wurden in den Jahren von 1994 bis 1998 von Ludwig Seuss & Friends im Jugendtreff am Freitag und Samstag bestritten. Dieses Ereignis mit nächtlichen Einsteigern aus den anderen Konzerten und Gästen wurde gleich in den ersten beiden Jahren von den Besuchern begeistert angenommen. Ab dem dritten Festival gab es schon keine Karten mehr im freien Verkauf, sondern nur im Vorverkauf zusammen mit Eintrittskarten für die Hallenkonzerte, wenige Restkarten an der Abendkasse. Es waren viele echte Sternstunden dabei, wir erlebten einmalige Sessionkonzerte, die niemals wiederholt werden können. Fantastisch!
1995
Kamen in den ersten beiden Jahren schon tausende von Besuchern nach Wendelstein, so steigerte sich die Zahl explosionsartig über 17.000 bis zu weit über 20.000 im Laufe der Jahre. Wendelstein war nun nicht mehr als der berühmte Berg bekannt, sondern als der kleine mittelfränkische Ort bei Nürnberg mit dem spektakulären Musikangebot.
In diesem Jahr zogen schon zwei Marching Bands durch die Straßen von Wendelstein. Es waren die Ambrosia Brass Band from Milano und die Algiers Brass Band of New Orleans.
Auch das abendliche Konzertprogramm bot eine Vielzahl an Traditionellem Jazz. So in der Schwarzachhalle mit zwei Doppelkonzerten, u.a. mit der wunderbaren Original Camallia Jazz Band of New Orleans feat. Trevor Richards. Eher Dixieland Music war in einigen Gasthäusern von regionalen Bands zu hören. Die acht Blueskonzerte verteilten sich auf den Jugendtreff, die Schwarzachhalle und drei Gasthäuser im Wendelsteiner Altort. Im Saal des Jugentreffs trat Christian Willisohn mit Lilian Boutte´auf. Lilian kam direkt aus ihrer Heimatstadt New Orleans und präsentierte eine Performance mit intensiver Power und gefühlvollen Balladen. Zusammen mit dem Willisohn-Trio ein wahrlich traumhaftes Konzert. Zum Doppelkonzert brachte Tabby Thomas aus Baton Rouge waschechten Swamp-Blues mit. Ebenfalls direkt aus Louisiana Zydeco-Music mit Lynn August & The Hot August Knights. Da diese Musik direkt in die Beine fährt, wurde an diesem Abend für Tanzfreudige vor der Bühne Platz geschaffen. Über Lynn August, den wir 1993 in Ascona kennengelernt haben, gibt es einen kurzen Text im Kapitel „1994-das einschneidende Jahr“. Die kleinen, aber feinen Blueskonzerte bestritten Shirley Williams, das Acoustic Blues Duo, der fabelhafte, beinwippende Tom Shaka, Abi Wallenstein & Henry Heggen sowie das heimische Duo The Cat & Shakin‘ Scholz, hinter dem sich die Nürnberger Chrissie the Cat und der Saxofonist Stefan Scholz verbargen. Freitag und Samstagnacht luden wieder Ludwig Seuss & Friends zum Jammen ein. Einen interessanten und lehrreichen Abend bescherte uns das Stefan Holstein Quartett mit einem Gang durch die Jazzgeschichte. Harald Goldhahn, die eine Hälfte des Acoustic Blues Duos, präsentierte seine ausdrucksvollen Gemälde zum Thema Blues und Jazz.
1996
Im dritten Jahr stand das Festival eigentlich noch in den Kinderschuhen. Aber mir scheint das Jahr 1996 ein wichtiger Einschnitt gewesen zu sein. Die Straßenparaden schlugen ein wie eine Bombe, es schien als wäre ganz Mittelfranken auf den Beinen. Bei strahlendem Wetter kamen 5000 bzw. 7000 Menschen in den Altort, säumten die Straßen und schlossen sich in New Orleans Manier dem jeweiligen Umzug an. Gerd ging vorweg um der Marching-Band zwischen all den Fotografen Platz einzuräumen. Das Gedränge war so groß, dass Besucher, die weit hinten standen die Musiker weder hören noch sehen konnten, dennoch zogen jedes Jahr wieder tausende von Zuschauern mit durch den Ort. Es war das Flair, die Gute-Laune-Stimmung. Die zwei Straßenparaden als stabile Größe waren nun auf feste Termine gelegt: am ersten Sonntag der Festival Woche marschierte die Ambrosia Brass Band mit ihrem charismatischen und beliebten Grandmarshall Edwin Adcock zuverlässig durch die Gassen. Später als Edwin aus Altersgründen nicht mehr mitkommen konnte, fand die Band adäquaten Ersatz.
Am 1. Mai lief jährlich eine neue Band, möglichst aus New Orleans, durch die Straßen. Bei dieser Auswahl war Gerd neben eigenen Wünschen selbstverständlich von der Zusammen-arbeit mit anderen Festival-Promotern und den Tourplanungen der Agenturen abhängig.
In diesem Jahr hatte es mit der Rebirth Brass Band aus New Orleans geklappt. Am Abend zuvor boten die jungen Musiker schon eine rasante Bühnenshow in der Schwarzachhalle. „Wie wohl sonst keine Brass-Band versteht es die Rebirth die alten Traditionen (…) mit neuen Einflüssen zu mischen. Viel Funk ist da bei den Jazz-Standards zu hören.“, NZ, 3.Mai 1996
In der Presse wurden zunehmend Begriffe verwendet wie „Big Easy“, „Spirit of New Orleans“ „New Orleans liegt an der Schwarzach“ bzw. „Wendelstein liegt am Mississippi“. Neben den Printmedien berichteten nun auch das Bayerische Fernsehen, Franken Fernsehen und verschiedene Radiosender über das Großereignis. Mit so viel Lorbeeren vorweg bedacht, war es kein Wunder, dass die meisten Veranstaltungen ausverkauft waren. In diesem Jahr war die personelle Unterbesetzung des Kulturreferates deutlich spürbar. Ein Weitermachen stellte Gerd dennoch nicht in Frage, er agierte so ziemlich als „Einmannzirkus“, jegliche Entscheidung lag bei ihm. „Von der Beleuchtung bis zum Klopapier alles im Griff“, so betitelte die damalige AZ (Abendzeitung) ein „AZ-Gespräch mit Kulturchef Gerd Huke“ vom 24. April. Ja, so war es, es mussten Sonderwünsche wie ein verstärktes Doppelbett für den über vier Zentner wiegenden Big Al Carson bedacht werden.
Er musste Vorwürfen, die Brauchtumspflege zugunsten von „seiner Negermusik“ (wahrhaftiges Zitat und eine nicht nur einmalige Bezeichnung) zu vernachlässigen, standhalten. Für Brauchtumspflege war er eh nicht eingestellt worden, im Gegenteil, er sollte ein Programm stellen, das den Vereinen nicht in die Quere kommt. Machte sich hier schon Neid breit? Bei manchen Anfragen von Seiten der Besucher fiel es Gerd bestimmt ebenso schwer freundlich zu bleiben. Zum AZ- Gespräch begrüßt er die Journalistin mit einem Beispiel aus seinem Alltag: „Gerade hat einer angerufen: Horch amol, New Orleans Musik mag ich fei ned, habt ihr nix andres bei eurem Festival“. Andererseits kamen Gäste aus ganz Deutschland, Österreich, Holland, der Schweiz um genau diesen Musik Gumbo zu genießen. Gerd entwickelte sein Konzept weiter und suchte stetig nach Optimierung.
»BACKSTAGE«
Mitarbeiter/innen
Im Kulturreferat gab es neben Gerd eine Stellvertreterin und eine halbe Bürostelle. Die zwei Mitarbeiterinnen waren beim Festival eingebunden, waren aber auch dafür zuständig tagsüber im Kulturamt zu sein um bürokratische Dinge zu erledigen, Anrufe zu tätigen. Es lässt sich kaum beschreiben, was es während solch einer Woche alles im Kleinen und Großen zu tun gibt. Da Gerd die gesamte Vorarbeit allein erledigte, blieb es problematisch zu delegieren. Es gab ja nicht wie in einem Betrieb verschiedene Spaten, die je einer Person zugeordnet werden können.
Ich kann mich leider nicht mehr an die Mitarbeiterinnen der ersten Jahre erinnern. Gerds spätere Kolleginnen waren Elfriede Haubner und Katja Lerch, später Kerstin Bienert und Frau Magerl. Frau Magerl war im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Schluss in 2012 an der Seite ihres Chefs und ihm in der Krise zur Seite gestanden.
Es dauerte viele Jahre bis es ein richtiges und verlässliches Festival Team gab. Die Anfänge haben so gesehen etwas holprig begonnen. Man muss sich das so vorstellen. Gerd wollte/musste an allen Orten sein, zum Soundcheck und später rechtzeitig zur Show. Also fuhren wir zu zweit (Gerd fuhr kein Auto) von einem Ort zum andern. Bei der zunehmenden Fülle des Programms war das sehr schnell nicht mehr möglich und so übernahm ich die Betreuung der Kneipen mit jeweils einem freiwilligen Helfer vor Ort. Diese sollten die Verbindung zwischen Auftrittsort, den dortigen Musikern und mir bzw. Gerd herstellen, falls irgendetwas nicht passte oder fehlte. War gut gemeint, hat sich aber leider als nicht zuverlässig erwiesen. Es brauchte „richtige“ Mitarbeiter. Die erste Crew rekrutierte sich aus dem Umfeld des Jugendtreffs. Die jungen Leute waren begeistert dabei, sie erledigten die vielfältigen Aufgaben in den Kneipen und in der Halle als sog. Stagehands mit zunehmender Sicherheit.
In der jeweiligen Halle richteten wir einen gut ausgestatten Backstage Bereich als Rückzugsort für Musiker und Mitarbeitende ein. Hier kümmerten sich um die Kaffee-, Tee- und Essensversorgung sowie Ordnung und Sauberkeit in jedem Jahr zuverlässig und wie selbstverständlich Christian und Agga Mentschel. Aber nicht nur hier machte sich Christian nützlich, er war auch sonst für Gerd stets eine große Hilfe.
Bauhofmitarbeiter, auf die Gerd zurückgreifen konnte, waren für alle baulichen und technischen Dinge zuständig. Hallenhausmeister kümmerten sich um alles, was so anfiel, Sauberkeit, Bestuhlung, kleine Reparaturen etc. Die Feuerwehr half bei nötigen und vorher polizeilich genehmigten Absperrungen, Verkehrsleitung und der Organisation der Parkplätze.
Neben den Übernachtungen der Besucher mussten über 150 Musiker untergebracht werden. So profitierten auch Gastronomie und Hotels vom Festival. Acht Betriebe haben aktiv am Musikgeschehen teilgenommen und waren mit der Resonanz mehr als zufrieden. „Wie ein guter Kirchweihsonntag“ hätten zwei der Gastronomen übereinstimmend gesagt, zitiert Gerd im AZ Gespräch. Das Festival-Fieber ergriff erfreulicherweise auch andere Sparten. Viele Geschäft hatten ihre Schaufenster passend mit New Orleans Motiven, Instrumenten oder Musikerplakaten geschmückt. Allen voran die Wendelstein Apotheke am Marktplatz, vor der die Bühne für die Brass Bands aufgebaut war. Äußerst geschmackvoll dekorierte ebenso Optik Martin seine Schaufenster. Auch eine schöne Idee: Ein Auto als Werbeträger.
Wieder war die Schwarzachhalle der Austragungsort der Hauptacts. Beim ersten Doppelkonzert traten nach Sammy Rimington mit seiner Int. TradJazz Band die verrückten „Roten Bohnen“ auf. „Les Haricots Rouges mischen Melodien aus dem alten New Orleans mit temperamentvollen Rhythmen aus der Karibik, sie parodieren und verjazzen Chansons und Schlager ihres Heimatlandes und würzen ihre charmante Show mit kleinen Sketchen und Gags“, so die Beschreibung im Programmheft. Diese sechs Musiker waren nicht nur auf der Bühne witzig und charmant, sondern auch vor und nach der eigentlichen Show stets zu Späßen aufgelegt. Das Dreifachkonzert vor dem 1.Mai bestritten die Rebirth mit ihrer Funk Brass Musik, Caroll Fran & Clarence Hollimon mit einer extravaganten Blues Show und Chubby Carrier & The Bayou Swamp Band mit Zydeco und R&B. Tanz in den Mai.
Es folgten ein weiteres Dreifachkonzert mit Blues, Boogie, R&B and Soul sowie zwei weitere Doppelkonzerte mit Traditionellem Jazz. Am Samstag traten auf Monty Sunshine’s Jazz Band und die Chris Barber Jazz & Bluesband. Nach seinem Auftritt ließ sich Chris Barber zur Jam Session bringen und ging auf die Bühne. Zum ersten Mal spielte er ohne Gage, wie er sagte.
Neu und besonders war in diesem Jahr die erste Riverboat-Shuffle auf dem Neuen Kanal zum Abschluss des Festivals am zweiten Sonntag. Es gab 240 überdachte Plätze im Vorverkauf, bei entsprechendem Wetter zusätzliche Tageskarten für das Oberdeck. Die Riverboat-Shuffle fand noch ein zweites Mal in 1997 statt. Dann wurde sie aufgegeben; die Organisation war immens, Zufriedenheit für alle herzustellen, war schwierig und belastend. In seiner Ankündigung zeigte Gerd noch frechen Humor mit seinem Hinweis: Pünktliche Abfahrt! Wer zu spät kommt, hat Pech gehabt. Geduld und Hartnäckigkeit brauchte er im Vorfeld dieser Flusskreuzfahrt, denn die Realisierung war nicht so ganz einfach. Es gibt im Bereich der Marktgemeinde Wendelstein keine Lände. Also dachte sich Gerd, das könne man vielleicht einfach organisieren. Aber so einfach sahen das die zuständigen Behörden nicht. Es gab keine Sondergenehmigung. Gerd rief daraufhin den damaligen Bundestagsabgeordneten Hansgeorg Hauser an und schilderte ihm sein Anliegen. Sie trafen eine geschickte Absprache. Gerd solle beim nächsten Gespräch in der Wasserschutzbehörde auf ihn verweisen und anrufen lassen. Hauser war, wie vorher „konspirativ“ vereinbart, am Telefon und wies den zuständigen Sachbearbeiter an, es dem Herrn Huke möglich zu machen mit der Riverboatshuffle im Wendelsteiner Gebiet anzulegen. Gerd kam freudestrahlend verschmitzt lachend nach Hause. Es hatte auf Anhieb geklappt, Ortsteil Neuses wurde Anlegestelle.
1997
Nicht nur wurde das Programm umfangreicher und somit das Souvenir-Book dicker, auch die Berichtserstattung nahm nun von Jahr zu Jahr zu. Mir liegt ein zwei cm dickes Geheft vor.
Fünf große und großartige Abende in der weniger großartigen Schwarzachhalle bestimmten dieses Festival. A British New Orleans Night präsentierte mit Max Collie& The Rhythm Aces sowie Mr.Acker Bilk Jazz Band “Jazz von Weltklasse-Musikern“, NZ, 8.4.97. Am Dienstag standen zur A Louisiana Blues & Zydeco-Night drei ganz unterschiedlichen Bands auf der Bühne. Sie widmeten den Abend den zwei wichtigsten Musikrichtungen aus dem Süden der USA. Zydeco hatte inzwischen auch Wendelstein erobert, in diesem Jahr zeigten vier muntere Niederländer (Captain Gumbo) geballte Zydeco und Cajun Power.
Am Mittwoch dann die Traditionell New Orleans Night. Nach der Barrelhouse Jazzband traten mal wieder die „unverwüstlichen“ und verrückten Les Haricots Rouges auf. Sie gingen über Tisch und Bänke, holten Frauen zum Tanzen auf die Bühne, gaben ihnen Instrumente in die Arme, die Gags nahmen kein Ende. Da ihr musikalisches Spiel keinerlei Zweifel an der Qualität aufkommen ließ, war es eine Freude ihnen zu zusehen. Das Publikum liebte diese Band.
Am zweiten Wochenende aber erlebten wir zwei Highlights der Sonderklasse: Am Samstag traten nach der Ron Ringwood‘s Cross Cut Blues Band unter dem Abendtitel „Night of The Legends“ die Kenny Burrell-Benny Golson All Stars auf. Zu ihnen gehörten neben den beiden Namensgebern Jimmy Woode, Duke Ellington Bassist, Reggie Moore, der hochrangige Pianist, Arrangeur und Komponist und Alvin Queen, renommierter Drummer aus New York. Allesamt Hochkaräter, deren Auftritt Gerd als Höhepunkt des Festivals ankündigte. Das sahen die Besucher in der ausverkauften Halle ebenso
Der heimliche Höhepunkt an diesem Abend aber war die nachfolgende Session, zu der alle fünf Musiker gekommen sind und bei unserer Hausband im Jugendtreff einstiegen. Es war ein unvergesslicher Abend, den ich vor mir sehe als wäre es gestern gewesen. Kenny Burrell und Benny Golson brachten ihre Frauen mit, die beide am Rand der Bühne saßen und die Musiker angefeuert haben. Peter Schneider schwärmt bis heute von dem Auftritt von Kenny Burrell. Auf dem Foto zu sehen, Mrs Golson mit Tochter, Peter Schneider, Uli.
Zu dieser Jamsession fanden sich noch Ron Ringwood und die Musiker seiner Cross Cut Blues Band sowie weitere Musiker des Abends ein. Die vielen vorhandenen Fotos zeigen das, was damals zu spüren war: Die ungemeine Freude und der pure Spaß am gemeinsamen Spielen, der respektvolle Umgang der jungen und älteren Musiker untereinander, ein entspanntes Verhältnis zwischen Weltstars und weniger bekannten, aber hervorragenden Musikern.
Ron Ringwood, Abi Wallenstein, Charly Antolini
Die Glanznummer dieses Festivals, wenn nicht sogar die Hauptattraktion sämtlicher Festivals, war am Abend zuvor das Konzert mit Nicholas Payton aus New Orleans. Er gab bei uns eins von drei Konzerten in Europa. Wir erlebten New Orleans pur mit einem zukünftigen Superstar der Extraklasse. Gerd und ich sahen von der „Empore“ der Show zu und uns wurde in diesem Moment die Einzigartigkeit klar. Wir haben uns nur angesehen und angestrahlt und auch noch später immer wieder gesagt: “Wow, was für eine Show! Und das auf der Bühne in einer Turnhalle in Wendelstein“. Unglaublich, für mich auch heute noch. Gelernt hat der erst neunjährige Trompeter sein Fach traditionell in Marching Bands auf den Straßen von New Orleans. Schon mit neun Jahren begleitete er seinen Vater bei dessen Auftritten in einer Brass Band. Zu Paytons Show gehörte deshalb auch wie selbstverständlich dazu, dass er Mardi-Gras-like mit einem Taschentuch über dem Kopf herumwedelte. Mit zwölf Jahren hatte er seinen ersten bezahlten Job als Musiker und wurde später von keinem Geringeren als Wynton Marsalis gefördert. Bei uns trat er im Alter von 23 auf und „…wird dieser hochbegabte Trompeter schon heute respektvoll „der zweite Louis Armstrong“ genannt. (…) Jazzkritiker bezeichnen den jungen Nicholas Payton als eine sensationelle Neuentdeckung“. Donaukurier, 7.5.1997 Und Gerd war wieder als einer der Ersten dabei! „Von dem weitsichtigen Festivalmacher in Wendelstein wurde der Trompeter vor seinem kometenhaften Aufstieg des letzten Jahres (…) engagiert“. NN-Mantel, 5.5.97
Ich werde wahrscheinlich noch von vielen tollen Festivals berichten, bei allen gab es die „wow“ Auftritte und dann kam irgendwann das wunderbare Zirkuszelt… ich könnte Romane schreiben. Trotzdem meine ich, dass das Jahr 1997 das erste war mit fast triumphalem Erfolg und Anerkennung weit und breit. Die wenigen, die abfällig von einem Dixielandfestival sprachen, hatten sich zu wenig mit der Wiege der Musik, der Crescent City, befasst. Gleichwohl lag wohl hier Gerds Entscheidung begründet, dass er sein „Baby“ beim 9. Mal mit dem Untertitel „Blues & Jazz Open“ versah und diesen Namen mit dem 12. Festival im Jahr 2005 zum Haupttitel machte. Wenn ich mir das Programm von 1997 jetzt anschaue, möchte ich am liebsten alle Bands aufzählen und beschreiben. Es strotzte nur so von Vielfalt. Am ersten Sonntag hatten wir neun Veranstaltungen. Es war eine gemeinsame Kraftanstrengung aller und wohl nur aufgrund der Begeisterung für dieses Projekt zu schaffen. Diese Begeisterung war auch beim Publikum zu spüren und schlug hohe Wellen, nicht nur bei mir, als in Röthenbach im Brunner-Saal eine Band spielte und im Wirtshaus gegenüber gleichzeitig zwei Bands auftraten. Es war ein heißer Samstag gewesen, die Temperaturen waren abends noch recht sommerlich, alle Fenster waren geöffnet. Im Wirtshaus zur Post mischten oben im alten Tanzsaal Free Beer & Chicken die Gäste auf, im Gastraum der Goldenen Krone fetzten Memo Gonzales& The Bluescasters und oben im Saal wurde Jazz aus den späten 1920er Jahren von KBs Jungle Band dargeboten. In den beiden Biergärten saßen im wahrsten Sinne des Wortes „Zaungäste“, auf der Straße flanierten Zuhörer. Bei dieser Beschallung durch drei Bands quer über die Hauptstraße wäre eigentlich differenziertes Hören angesagt gewesen, aber es war o.k. so wie es war. Reinstes New Orleans Feeling und mal wieder ein unvergessliches Ereignis.
„Jazz für jeden – das 4. New Orleans Festival in Wendelstein
Einmal im Jahr kann man in Wendelstein bei Nürnberg sein blaues Wunder erleben: Der Rhein-Main-Donau-Kanal verwandelt sich in den Mississippi, statt Schweinebraten steht Soulfood auf der Speisekarte., anstelle von Trachtenkapellen ziehen Jazzbands durch die Straßen, kurz: Franken wird zum Dixieland. (…) Innerhalb kurzer Zeit hat sich das Festival in der Musiklandschaft etabliert, für Freunde des Oldtime-Jazz, Blues, Soul und Cajun ist wendelstein mittlerweile eine der ersten Adressen in Deutschland. Zu verdanke ist das in erster Linie der fixen Idee und den guten Kontakten des Festivalleiters Gerd Huke, der das Riesenprogramm quasi im Alleingang auf die Beine stellt.“ NN-Mantel, 24. April 1997, radl
»BACKSTAGE«
„Mitveranstalter I“
In meinen Plaudereien wird der Begriff backstage oder „hinter den Kulissen“ zweifach verwendet. Einerseits möchte ich erzählen, was vor und nach den Auftritten im realen Backstagebereich los war, wie die Stimmungen waren, wie Vorbereitungen unmittelbar vor und Arbeiten nach den Konzerten abliefen. Dies alles entzieht sich den Augen und Ohren des Publikums. Vorn auf der Bühne gilt es die perfekte Show zu bieten. Dann gibt es noch einen Blick hinter die Kulissen von Gerds eigener umfangreicher Vorarbeit. Dazu zählt die Zusammenarbeit mit Gastwirten, fortan Mitveranstalter genannt. Vieles kenne ich aus Erzählungen, bei einigen Treffen war ich dabei. Der hier beleuchtete Schwerpunkt ist die Anpassung des Musikstils und der Bandgröße an die jeweilige Location. Der ehemalige Tanzboden im Gasthaus zur Post hat sich z.B. für Bands wie Free Beer & Chicken, Hans Theessink oder die New Orleans Rhythm Boys wunderbar angeboten. Hier traten tolle kleine Gruppen in besonderer Atmosphäre auf. Einige Bands wie auch Besucher hätten sich über eine Art Dauerauftrag für eine bestimmte Bühne gefreut. Waren Bands hier besonders erfolgreich, waren sie es woanders vielleicht nicht. Manche Gastwirte wollten dennoch genau diese Bands in ihren Räumlichkeiten auftreten lassen. Aber so einfach war es eben nicht. Es lag nicht nur an der jeweiligen Band, sondern am Zusammenspiel von Musikern, den Räumlichkeiten, dem Gastwirt und den Gästen. Es gab Besucher, die in das eine Gasthaus gingen, egal, welche Band dort spielte, aber nicht in das andere, wenn es nicht grad die absolute Lieblingsband war. Gegenüber vom Brunner im Wirtshaus „Zur Goldenen Krone“ traten u.a. Memo Gonzales & Bluescasters oft auf. Hätte sich jemand diese Gruppe z.B. im Hotel zum Wenden vorstellen können? Sicher nicht. In die St. Wolfgang Stuben in Röthenbach passte z. B. gut ein Frühschoppen mit einer lokalen Dixieband. Es war ein schwieriges Unterfangen den Mitveranstaltern neue Bands „aufzuzwingen“. Die meisten waren der Meinung, dass die immer gleiche Band die meisten Zuschauer bringen würde. Ihr Interesse galt eher der „Kundenbindung“ und berechtigterweise dem Umsatz. Gerds Hauptanliegen jedoch war der Wechsel und so musste er jedes Jahr aufs Neue diese unterschiedlichen Vorstellungen einen. Es gab Lokale, in denen es von Anfang an gepasst hat und sich dadurch eine bestimmte Musikrichtung etablieren konnte. Andere bevorzugten eine Vielfalt um unterschiedliches Publikum anzusprechen, wie z. B. Guys Weinhaus. Frau Zuger stellte schon nach der ersten Festival-Teilnahme ein Zelt auf, wie auch Gastwirt Wöllmer vom Goldenen Herz. Gastwirt Leo Maueröder in Kleinschwarzenlohe ließ einen Stadl neben seinem Gasthaus extra für das Festival ausbauen. Er präsentierte Gerd schon beim zweiten Vorgespräch Zeichnungen eines Architekten für den speziellen Umbau. Jeder Mitveranstalter zeigte sein Engagement auf unterschiedliche und sehr persönliche Weise.
1998
„Jazz geht wieder auf die Straße“, Nz, 28.3.98
„Fest mit Pauken und Trompeten“, RHV, 1.5.98
Sonntag, 26. April, 14.10: nach drei Stunden mit fünf Frühschoppen „lassen die zehn Musiker die ersten Töne hören (…). Ihre fast schon legendäre Straßenparade (…) begleiten an diesem Sonntagnachmittag über 8000 Menschen. So viele wie nie zuvor.“ Und das im nur 15.000 Einwohner zählenden Wendelstein. Eines der größten Musikereignisse Bayerns findet hier statt. „Wendelstein hat für ein paar Tage deutschlandweite Anziehungskraft.“ Zitate, NZ, 29.4.98 In diesem Jahr waren die vielen Vorankündigungen nochmal umfangreicher, zumeist garniert mit einem Foto der Ambrosia Brass Band bzw. einem Foto der Menschenmenge im Altort. Dieses Motiv wurde von Gerd ebenso wie von anderen Fotografen aufgenommen und all die Jahre immer wieder verwendet um das Phänomen Streetparade in Wendelstein zu zeigen. Die Anzahl der Veranstaltungen wuchs und wuchs. Stand schon in 1996 ein Zelt vor „Guys Weinhaus“, so baute nun auch Fam. Wöllmer vom „Goldenen Herz“, auf deren Gelände immer die Straßenparade losging, ein Veranstaltungszelt auf. Auch zum ersten Mal dabei, Hotel Kübler Hof mit einem Konzert im Gastraum und mit einem Jazz-Duo im Historischen Gasthaus „Gelber Löwe“ in Röthenbach. Die Jegelscheune, die beste Bühne, war in diesem Jahr zum ersten Mal beim Festival dabei. In den Vorjahren fehlte es an der Bewirtung, die nun Ital Vini übernahm. Allerdings nur für ein Jahr, da die eingebaute Weinwerbung im Programmablauf bei niemandem gut ankam. Die Jegelscheune war in diesem Jahr vom Bluesclub eher zur Jazzbühne mutiert, aber mit heißem Boogie der Papas Finest Boogie Band brodelte die ausverkaufte Scheune wieder mal.
„Der Name der Gemeinde Wendelstein im Tourneeplan vieler Musiker liest sich zwischen Weltstädten wie London und Mailand geradezu wie ein Druckfehler. Huke: wir spielen da in einer Liga, in der die Musiker normalerweise nicht mehr über die Dörfer tingeln.“ AZ, 20.4.98
Es gab unzählige viele Presseankündigungen und Konzertkritiken, die sich in ihrer Begeisterung nahezu einig waren. Von allen Journalisten wurde einhellig das Highlight des Festivals, das Konzert der All-Stars-Band betont.
Joe Vierra hat im renommierten Jazz Podium ein Tagebuch veröffentlicht, in dem er seine Rallye eine Woche durch Wendelstein beschreibt. „Wenn man sich das Programm ansieht, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Nicht weniger als 58 Gruppen mit rund 350 MusikerInnen spielen innerhalb von 9 Tagen bei 63 Konzerten- und dies an 16 Veranstaltungsorten. (…) Letztes Jahr kamen 22.000 Besucher, dieses Jahr dürften es noch mehr sein. Gerd Huke, dem Kulturreferenten von Wendelstein, seiner Frau und ihrem Team gebührt hohes Lob für diese Leistung (…).“ „(…), dass etwas fehlt: Platz zum Tanzen. Aber woher nehmen? Hier zeigt sich ein Problem. An der Musik liegt es nicht- gerade Wendelstein hat gezeigt, dass es eine Menge Jazz gibt, zu dem sich hervorragend tanzen lässt (was früher ja auch geschah). Aber es fehlen die Räumlichkeiten…“.
„Ein Ereignis: Cornelia Moore & The Reggie Moore Trio in der Jegelscheune. Reggie Moore ist ein feiner Musiker mit exzellenter Technik, um den sich eigentlich alle europäischen Festivals reißen müssten. Seine Frau Cornelia singt mit großem Feeling.“ Ein perfekter Konzertabend passend für die Jegelscheune.
„Und schließlich gibt es noch eine bunte Blues-Session im Saal des Jugendtreffs, dem ich freilich in seiner Nüchternheit keine rechte Bluesstimmung abzugewinnen vermag. Aber vielleicht war ich auch schon etwas zu müde…“ Ja, das wird‘s gewesen sein. Die mitspielenden Musiker und zuhörenden Gäste waren da sicherlich anderer Meinung, die Atmosphäre wurde vom musikalischen Verlauf des Abends und der Stimmung bestimmt. Joe Vierra ist ein eingefleischter Jazzer und Boogie-Fan. Bei aller Kritik, z.B. an der zeitweiligen Lautstärke, lautete sein „Fazit: dieses Festival verdient Anerkennung und Unterstützung. Bayern ist um eine Jazz-Attraktion reicher.“ Auszüge aus Jazz Podium Nr. 7/8 1998
Der Hype war groß, der Erfolg nicht zu bremsen. Noch war die Kraft da, neun Tage mit 60 Konzerten zu bewältigen, darunter zwei Tage mit je 12 Veranstaltungen. Als 13. Show gab es am Fr, 1.Mai die Jam Session, bei der die Anspannung nachlassen konnte. Aber auch wir blieben bis in die frühen Morgenstunden und mussten am nächsten Morgen raus zum Frühschoppen, bzw. Gerd ging und ich kam später nach. Das 98er Jahr war nicht nur extrem umfangreich, sondern auch äußerst vielfältig, so dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll, welches Konzert herausstellen, welche Musiker weglassen? An fast jedem Veranstaltungsort fand täglich ein Konzert statt, an manchen Tagen zwei.
Eine neue Idee: Gerd hatte einen very-special-guest eingeladen: Tommy Schneller, junger begnadeter Sax-Spieler, zog nach zwei umjubelten Konzerten mit seiner famosen Band allein durch die Kneipen und stieg bei den unterschiedlichsten Konzerten mit ein. Das war für Publikum und Musiker spannend, wusste doch niemand, wann er wo mitspielen würde. „Wo immer er auftauchte, wurde er jubelnd empfangen. `‘Tommy Tommy‘-Rufe waren immer wieder zu hören“, Nz,5.5.98
Nach drei Abenden mit Traditional bzw. Classic Jazz in der Halle fand am Freitag ein Blues-Doppelkonzert mit Sidney Ellis & Her Yes Mama Band und Wanda Rouzan & A Taste of New Orleans statt. Es folgte am Samstag die umjubelte „All Star Night“. „In der brechend vollen Schwarzachhalle boten drei Bands Außergewöhnliches“, NZ, 6.5.98 Die Swinging Ladies, mit Stacy Rowles (tp), der Tochter von Jimmy Rowles, Lindy Huppertsberg, die Frau am Bass (z. B. Barrelhouse Jazz Band, Gospel Messengers), sowie drei weiteren famosen Musikerinnen. Danach trat Ron Ringwood’s Cross Cut Blues Band auf; bemerkenswert nicht nur der charismatische Sänger Ron, sondern auch seine jungen Mitmusiker.
On Top „The Festival All Stars“ mit Benny Bailey, Hal Singer, Gene „Mighty Flea“ Connors, Jimmy Woode, Michael Clifton (anstelle des erkrankten Alvin Queen) und Reggie Moore. Mit diesem Abend wurde dem Festival in seiner Breitbandigkeit „eine krönendes Abschluss-Sahnehäubchen aufgesetzt. (…) eine rasante Gangart zwischen Soul, Funk und Bluesrock schlägt die „Cross Cut Bluesband“ des Sängers und Moderators Ron Ringwood an. (…) Unbestreitbarer Höhepunkt ist allerdings die relaxte Riege gutgelaunter Grandseigneurs (…), lebende Legenden. Die zusammen für fast fünfhundert Jahre Jazzgeschichte stehen“. NN-Mantel, 4.5.1998
Die Sonntagvormittage mit fünf parallelen Frühschoppen und die Abende mit mehreren gleichzeitig stattfindenden Konzerten waren stets ausverkauft. Gerd setzte die Bands so ein, dass es wenig Stil-Überschneidungen gab. Das Publikum musste sich eben entscheiden, eher Blues oder Zydeco oder doch lieber Boogie. Lieber in der großen Halle oder im intimen Rahmen? Der historische Brunner-Saal im Gasthaus zur Post bot den Rahmen für ein ganz besonderes Bluesprogramm. Hier traten in diesem Jahr wieder Free Beer & Chicken sowie Captain Gumbo auf, die Bluebyrds, Kozmic Blue und das Bluesart Duo. Im Gasthaus „zur Goldenen Krone“ spielten keine geringeren als Christian Dozzler & The Blue Wave, die Percy Struther Band, das Oldtime Blues & Boogie Duo und Memo Gonzales. Auf beiden Seiten der Röthenbacher Hauptstraße wieder ein hörens- und sehenswertes Programm. Bei meinen abendlichen Kurzbesuchen habe ich Memos furiose Auftritte fast immer zu einem günstigen bzw. kritischen Zeitpunkt erlebt. Einmal platzte ihm beim zu groß gewagten Sprung die hintere Mittelnaht seiner Hose, ein anderes Mal packte er während der Show eine tanzende Zuschauerin in der Taille, drehte sie einmal um, so dass die Haarspängle nur so flogen und schwupps stand sie wieder. Peinlich? Ersteres vielleicht. Aber es zählte das Motto „take it easy“. Befremdlich? Frauenfeindlich? Ganz und gar nicht. Einfach Spaß und Übermut, es war bei manchen Bands damit zu rechnen. Glück gehabt, wer am Rande stand. Bei Guys Weinhaus ging es unmittelbar nach der Straßenparade gleich mit Musik weiter. Im Laufe der Woche gab es hier noch drei Konzerte, die unterschiedliche Geschmäcker ansprachen. Dixieland in den Kneipen durfte selbstverständlich nicht fehlen. So spielten neben internationalen Traditionellen Jazzbands einige regionale Dixiebands in den vielen Kneipen, wie z.B. Opas Jazzband, Old Riverhouse Jazzband, New Orleans Rhythm Boys + One, Collegium Dixicum. Joe Vierra vom Jazz Podium, in diesem Jahr wieder dabei, stand mit seinem Wunsch nach noch mehr Trad. Jazz vielleicht nicht allein, aber… es sollte eben kein Dixie- und Jazzfestival sein und m.E. gab es gerade im Jahr 1998 viel Jazziges zu hören.
Bevor ich mit dem Jahr 1999 weitermache, hier ein kurzer Gedankensprung ins Jahr 2021
“FLASHBACK“
Gedankensprung zum 1. Mai
Gäbe es noch „unser“ Festival, so hätte es heuer in 2021 am 24. April begonnen und wäre am So, 2. Mai zu Ende gegangen. Im Jahr 1999, in das ich mich gestern und heute hineingelesen habe, fand das Festival genau zum gleichen Datum statt. Im Jahr 2000 verschob sich der Termin auf eine Woche später, vom Samstag, 29.4. bis zum Sonntag, 7. Mai. Unabhängig vom Schreiben dieser Hommage muss ich um den 1. Mai herum noch immer an diese alten Zeiten denken. Zufälle spielen dabei oft eine Rolle. So fand ich gestern ein Booklet zwischen meinen CDs, das anscheinend aus einem Music Sampler stammt und in zwei Sätzen die Entstehung von New Orleans beschreibt.
Aus den Linernotes, die wie ein Hohelied auf die crescent city klingen, möchte ich hier ohne Kommentar ein paar Zeilen zitieren: „The Lady oft he Delta … she’s not the south, the east or west… not left or right, not big or best, not young, not old, not dry, not cold… The muddy river is her aorta. The bayou and the canals her vains, her blood is tainted with tabasco, her temper hurricans… The music is her heartbeat, the dancers her pulse… She is a black, white brown, beige, purple, green, pink, gold. Indian, cuban, irish, italian, cajun, creoled, african, caribean, red necked, catholic, baptist….“, Phil Parnell 2007
Gestern Abend, am 30.4.2021 habe ich auf arte eine Dokumentation über die ersten fünf Jahre von David Bowie angeschaut. Als eine Zeitzeugin und Freundin kommentierte Dana Gillespie ihre frühe Bekanntschaft mit David Bowie und die ersten Jahre im Marquee Club, in dem sie schon in den frühen 60ern verkehrte. Sie trat mit befreundeten Musikern wie Bob Dylan, Mick Jagger und anderen schillernden Stars auf. Sie selber ist eine ebenso bunte und mit vielen Talenten ausgestattete Pesönlichkeit, eine Powerfrau mit gigantischer Stimme. Bei uns in Wendelstein wurde Dana von dem Trompeter Oskar Klein und seiner Band begleitet.
Dana Gillespie has been dedicated to the blues from an early age: „I discovered the blues when I went to the American Folk Blues Festival in 1962 and also to see the Yardbirds at the Marquee Club. I was in my early teens and hadn't heard anything like it before - blues wasn't easily available in the UK back then“. Blues was my first musical love because it's earthy, spiritual and honest.“ Entnommen der website von Dana Gillespie
Gedankensprung zum 1. Mai 2022
Gestern Abend (30.April) war ich in der Kofferfabrik bei einem Blueskonzert. Mittendrin fiel mir ein, dass heute „unser“ Festival begonnen hätte (zur Erinnerung: von Samstag vor dem 1. Mai bis Sonntag nach dem 1.Mai). Und mir fiel ein, dass das diesjährige Festival genau jetzt beginnt. Erstaunlicherweise war ich von diesem flashback der Erinnerung nicht berührt. Ein erfreulicher Fortschritt in meiner gefühlten Wahrnehmung.
1999
Dieser Sledgehammer Soul & Downhome Blues von Mighty Sam McClain blieb wohl allen im Gedächnis, wer an dieses Festival dachte. Mighty Sam war die Entdeckung in dieser Woche. Dieser großartige Sänger, der in der Versenkung verschwunden war, ist durch Zufall auf der Straße wiederentdeckt worden und kehrte mit Triumph auf die Bühne zurück. Erstmals nun auch in Wendelstein, eroberte er im Nu mit Charisma und Bühnenausstrahlung das Publikum. An diesem Abend trat er im Doppelkonzert mit Larry Garner & Band aus Louisiana auf. Es war ein wahrhaft großartiger Abend.
Das Doppelkonzert fand in einem erstmalig aufgebauten sog. Festivalzelt auf dem Gelände des VF Wendelstein auf. Dieses Zelt wurde als Veranstaltungsort auf Anregung des Vereins installiert und von Gerd mit einem hervorragenden Programm für ein großes Publikum bestückt. Möglicherweise passten mehr Leute hinein als in die Schwarzachhalle. Von vielen Zuschauern wurde dieser Ort vergleichsweise als angenehm empfunden. Bei der Durchführung allerdings lief zum Verdruss von Gerd und zum berechtigten Ärger beim Publikum in den drei Jahren der Mitwirkung einiges schief.
In der Schwarzachhalle fand u.a. wieder die beliebte ALL STAR NIGHT statt. In diesem Jahr mit einer kaum zu übertreffenden Besetzung: Etta Jones, Harry „Sweets“ Edison, Houston Person, Red Holloway, Reggie Moore, Jimmy Woode und Keith Copeland. Gerd hatte sie mit Hilfe von Ron Ringwood zu einer Band vereinen und nach Europa bringen können. Bis auf Etta und „Sweets“, so genannt wegen des lieblichen Tons seiner Trompete, kannten die Wendelsteiner Besucher die einzelnen Musiker schon und somit war auch dieses Konzert wieder restlos ausverkauft. „Mehrere Kapitel Jazz-geschichte standen bei der All-Star-Band in der ausverkauften Schwarzachhalle auf der Bühne. Eine illustre Schar nicht mehre ganz junger Männer, die immer noch nicht den Spaß am New-Orleans-Sound verloren hat. Selbst Harry „Sweets“ Edison ist mit viel Engagement bei der Sache. Dabei sind solche Abende lange nicht mehr Alltag: Der 84jährige wird von einem Helfer auf die Bühne begleitet. Dort steht ein bequemer Hocker parat. Doch sobald Edison die Trompete in die Hand gedrückt bekommt, wirkt er wie verwandelt. Die Last des Alters scheint vergessen.“, NN, Mantel 3.5.99
„Neun Tage Volksfest mit Musik
Über 22.000 Menschen strömten im vergangenen Jahr zum New Orleans Music Festival nach Wendelstein. Das grausame Wort „Besucherrückgang“ kennt man hier – im Gegensatz zu anderen Festivals – nicht. In der 16.000-Einwohner-Gemeinde am Rande von Nürnberg schnellen seit fünf Jahren die Zahlen nach oben. Probleme mit leeren Hallen gibt es nicht. In Wendelstein fehlt sogar der geeignete Veranstaltungsort für große Konzerte.“ NN, Mantel 20.3.99
Gerd hatte inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass eine neue Konzerthalle gebaut werden würde. Das erste Mal stand diese schon 1988/89 im Raum. Ich höre Gerd noch argumentieren, wenn nicht jetzt, wann dann. Der Mauerfall stünde vor der Tür und dann wäre es zu spät. Und so war es. Nach der Wende wurde gerade auch im Kulturbereich viele Gelder in den Ausbau Ost gesteckt und im Westen abgezogen. Dort entstanden tolle Kulturhallen, städtische Kultureinrichtungen und -projekte. Es „war einfach zum Heulen“. Dennoch blieben uns die Besucher treu und fanden sich anscheinend mit den nicht so tollen Begebenheiten ab. Im Vordergrund stand einfach, die gute Musik zu genießen. Ein solcher Musik-Genuss war mit Sicherheit die „Hamburg Nacht“. Diese griffigen Kurzbeschreibungen, mit denen Gerd gleichzeitig schon eine Richtung vorgab und nicht wahllos Bands zusammenstellte, dienten einer gewissen Orientierung und zeigten, welche sorgfältige Planung hinter jedem Festivaltag steckte. Bei diesem Dreifachkonzert wurde gleichermaßen deutlich, dass Gerd immer Wert darauflegte, dass es keine sog. Vorband gab, sondern alle Gruppen gleichberechtigt waren und die Reihenfolge einem musikalischen Aufbau diente. Umso besser, wenn sich die MusikerInnen untereinander kannten und miteinander kommunizierten. An diesem Abend nun trafen „Größen der hanseatischen Blues-, Boogie- und Jazzszene auf einen ausverkauften Saal voller Mittelfranken.“ Abi Wallenstein und Henry Heggen „übernehmen die Rolle der Einheizer mit Blues- und Boogiestandards“ und „begannen mit einer Wanderung durch die Halle.“ „Auftrag erfüllt: das Publikum tobt schon nach einer halben Stunde.“ Axel und Torsten Zwingenberger setzten das Konzept fort und zeigten sich in einer selten zu bewundernden Perfektion. „Mit Inga Rumpf auf einer Reise durch die Vielfalt der schwarzen Musik: (…) Inga singt Blues, Inga singt Jazz, Inga singt Gospel. Und wie! Die Stimme vibriert. (...) Die Rückbesinnung auf zeitlose Musik entpuppt sich als Glücksfall.“ Zitate NN Mantel, 29.4.99 Ihre pechschwarze Stimme reicht von „It’s a man’s world“ bis zum unvermeidlichen „Sweet Home Chicago“ beim gemeinsamen Finale aller Künstler dieses Abends. Zur Erinnerung an ihre Laufbahn: Sie startete als 18jährige Sängerin bei den City Preachers, es folgten Frumpy, Atlantis und Auftritte mit Udo Lindenberg sowie Ausflüge in den Jazz mit der NDR Big Band. Seit 1993 spielte Inga Rumpf mit Joja Wendt und seiner hervorragenden Band.
In der „very special night“ des Swing und Jazz erlebten wir Frauenpower mit den Swinging Ladies. Diese fünf, jede einzelne ein internationaler Star, waren in 1998 die Entdeckung. Für den Auftritt in diesem Jahr hatten sie ein Programm zu Ehren von Duke Ellington zusammengestellt.
„Und dann stand er plötzlich auf der Bühne, der kleine, musikalisch aber ganz große Weltklassemusiker „Paulchen“ Kuhn, ein Mann, der swingt wie kein anderer in Europa.“ Zusammen mit seinen erstklassigen Musikerkollegen Gustl Mayer, Paul G. Ulrich und Willy Ketzer überzeugte er in der ausverkauften Halle mit ausgesuchten Swingstücken und Perlen der Jazzgeschichte.
Es wurde ein langer Abend. Nach der Show im Nightcafe: Paul Kuhn mit Band, Ron Ringwood, Gerd, Gabriele.
Gerd in einer seiner Rundmails vom 29.9.2013:
„Ich muss leider schon wieder eine traurige Mitteilung an den Anfang stellen. Der große Paul Kuhn ist von uns gegangen. Wir verneigen uns mit Respekt vor einem großartigen Künstler, der mit Sicherheit inzwischen in der großen All-Star-Big-Band dort oben spielt. Gottseidank konnten wir ihn ja mehrfach in verschiedenen Bandprojekten beim Wendelstein-Festival live erleben. Dort durfte ich ihn hinter den Kulissen als äußert angenehmen und liebenswerten Künstler "privat" kennen- und schätzen lernen. Max gut Paul, solche wie Dich machen sie heutzutage nicht mehr...“
Vielleicht haben sie sich in 2017 dort oben, wo auch immer, wiedergetroffen. Schön wär‘s.
Die weiteren Doppelkonzerte lasse ich unerwähnt, da es noch einige Bands und Neuerungen zu erwähnen gibt. Es seien von den 60 Gruppen nur einige Bluesbands genannt, wie z.B. Master Charge, Smokey Wilson & Band, Keith Dunn Trio, Acoustic Blues Trio, Tommy Schneller Band, Doug Jay, Tom Blacksmith, Jim Kahr, Al Jones, Hank Shizzoe mit seiner Band Loose Gravel. Ihn haben wir beim Bardentreffen 1998 entdeckt und Gerd hat ihn sogleich engagiert hat. „Im Festzelt vor dem „Goldenen Herz“ in Wendelstein brachten James Hunter und seine Band die Stoffwände zum Wackeln.“ war zu lesen. Ich erinnere mich, dass ich von Röthenbach kommend schon von ganz weitem die Musik hörte. Nach diesem Konzert hat Gerd strikt für Begrenzung der Lautstärke und ein definiertes Ende der Openair Konzerte gesorgt. Die Polizei war nicht nur auf der Suche nach Falschparkern, sondern kümmerte sich auch besorgt um Einhaltung der Nachtruhe um 23:00.
Aus diesem Grunde und vielfachem Wunsch von Festivalbesuchern entstand die Idee, ein Nightcafe zu installieren um den Abend ausklingen zu lassen. Viele Musiker sind nach ihren Auftritten noch zu aufgekratzt, um gleich in ihren Hotelzimmern zu verschwinden. Uns ging es trotz wenigen Schlafs ebenso. Dieses erste Musician‘s Hangout mit „Boogie Radio“ im „Kleinen Griechen“ wurde gleich gut angenommen. Da es in Wendelstein keine Möglichkeit gab am Abend noch etwas trinken zu gehen, waren auswärtige Besucher froh, nicht gleich ins Hotel gehen zu müssen wie auch viele fränkische Gäste, die in der Festivalwoche regelmäßig Urlaubstage einplanten und somit den Abend gern verlängert haben. Man konnte abhängen, über die erlebten Konzerte fachsimpeln, nur Musik hören, einander besser kennenlernen, Beziehungen auf- und ausbauen, sich verabreden, Geschäfte abwickeln… Es waren sehr angenehme Abende.
„Ein besonderes Schmankerl für alle Nachtschwärmer war die Jam-Session mit der Hausband Peter Schneider & The Stimualators und Gästen.“ NZ, 5.5.99 Ab diesem Jahr war Peter der Musical Director und blieb es bis zum Jahr 2006. Er war einfach perfekt in diesem Job. Peter konnte Musiker einbeziehen und Abfolgen koordinieren. Ganz abgesehen mal davon, dass er ein Supergitarrist war und ist und stets ohne Scheu und mit großem Spaß mit den „ganz Großen“ und aber auch mit Amateuren spielte. Es waren einfach unvergessliche Nächte!!
2015, Auftritt in Wendelstein bei Guys Weinhaus, durch Gerds Vermittlung
Dieses Festival der Superstars und der großen Namen sowie tollen Entdeckungen in den Kneipen endete mit einem wahrhaft furiosen Gospelkonzert. In der NZ vom 5.Mai erschien eine ganze Seite nur über diesen einen Abend. „Wahnsinn! Der packende W a h n s i n n schlechthin! Vielleicht mit gigantisch, wie das diesjährige New Orleans Festival insgesamt, lässt sich das Wendelsteiner Abschlusskonzert der Insight Gospel Singers aus Oklahoma in der Sankt-Georgs-Kirche zusammenfassen. (…) In den a-capella vorgetragenen (…)Spirituals wurde die große Einsamkeit, ja Verlassenheit, spürbar, in der die versklavten Menschen auf den Baumwollfeldern gequält wurden. (…) Man spürte, dies war keine laue Show, hier stand die Seele dahinter. (…) diese geistlichen- auch zum Teil liturgischen- Lieder haben ihre Funktion als Sinnbild des Glaubens, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. (…) Nicht nur ein glücklicher Tag ging zu Ende, sondern auch eine glückliche Zeit im jazzigen Wendelstein.“ Ich hoffe, diese Zeilen haben Gerd glücklich gemacht. Umso verwunderlicher ist es, dass Gerd mit authentischen und zu tiefst gläubigen Gospelgruppen in dieser Kirche und später auch in der zweiten bald keine Möglichkeit mehr für Gospelkonzerte fand. Die Pfarrer hatten anscheinend ein anderes Verständnis von Christentum und Glauben. Der darauffolgende Versuch, Gospel in eine Halle zu verlegen, scheitere schlicht an dem Ambiente. Hier ein paar weitere Worte aus weltlichen Medien, die dem Festival im Jahr 1999 größte Aufmerksamkeit schenkten. „Sein (Gerd) Konzept aus Bourbon-Blues für die ganze Familie, Bierzelt-Soulfood und fränkischer Küche funktioniert so geschmiert (…) Vielleicht werden dann noch mehr Gasthäuser, Cafes und bizarre Spielstätten dabei sein wie die Agip-Tankstelle in Kleinschwarzenlohe, wo am Sonntag mal eben die Milano Allstars zum Swing einparkten.“ Die Louisiana Blues Night und die Hamburg Blues Nacht wurden in der Abendzeitung als streckenweise musikalisch hochklassig eingestuft, besonders der stimmgewaltige Mighty Sam McClain setzte laut Kritiker Spark Maßstäbe. „ der (…) in aller Welt über den grünen Klee gelobt wird, Anfang Mai auch vom berühmten Pariser Jazz Club „New Morning“ gebucht ist, zeigt sehr gut, wie hoch Wendelstein bei Bluesmusikern derzeit im Kurs steht.“ AZ, 29.4.99
Ebenso in der Münchner Abendzeitung erschien von Klaus Schamberger, Nürnberger wohnhaft in Wendelstein und damaliger Reporter der großformatigen Zeitung mit dem bekanntermaßen guten Feuilleton, ein ganzseitiger Artikel zum Festival. Schamberger erwähnt zunächst den guten Ruf Wendelsteins, den es eh schon hatte, aber nun durch das Festival geadelt wird. Er spricht von „zehntägigen Südstaaten-Shuffle im Dorf Wendelstone“. Nicht erst nach fünf Bieren würde man meinen, das sich „unter einem nicht die Schwarzach schlängelt sondern der Mississippi. „Selbst (SPD) Bürgermeister Wolfgang Kelsch- eher Freund der krachledern-schmissigen Muse- hat längst seinen Frieden mit dem Import-Jazz gemacht. Stammgäste aus Österreich, der Schweiz, Ungarn und Frankreich (und selbstverständlich aus ganz Deutschland, Anm. d. Verf‘in.) buchen schon ein Jahr voraus Pensionszimmer und Tickets (? Verf‘in) für die Jazz-Party, das größte New-Orleans-Festival Europas (? Verf’in) inzwischen. (…) Die Weltstars sind sich in Wendelstein auch für die Spätschicht nicht zu schade. Alle traten zur üblichen Zusatz-Gage, Freibier & Bratwürste, bei den allnächtlichen Jam-Sessions auf.“
“FLASHBACK“
I still got the blues
18.Mai 21 um 2.00 in der Früh: „I still got the blues“
Mal wieder eine Nacht mit Gerd. Eine Nacht mit Blues, eine Nacht mit Zigarette, eine Nacht mit Prosecco, eine Nacht mit Tränen, eine Nacht der Erinnerungen, der Sehnsucht, des Schmerzes.
Miller Anderson singt „Falling back into the blue“. Herzzerreißend!
Ich höre die CD „Blues for when you are alone“. Könnte es einen passenderen Titel geben? Diese CD hat Gerd mir vor langer langer Zeit einmal geschenkt. Ganz hervorragend, mit Super Interpreten. Die Stimmung, eine solche CD mit 14 traurigen Songs zu hören hat man vielleicht nicht so oft im Leben. Es geht freilich wie immer um den Schmerz, den die Liebste verursacht hat. „my baby is gone“, fort mit dem Cadillac und dem Rest des Geldes. Schlimm genug, der Schmerz ist nachvollziehbar, aber es bleibt Hoffnung. Seit Gerds Tod haben die meisten dieser Lieder eine andere Bedeutung bekommen. „… gone for ever“, ohne Hoffnung auf Wiederkehr. Weder Gerd noch ich hätten jemals ahnen können, dass mir diese CD einmal so viel bedeuten würde. Jeder Gitarrenton, jede schmerzerfüllte sehnsuchtsvolle Zeile zerreißt mich und tröstet doch. Die intensiven Stimmen von Mike Zito, Toscho von der Blues Company, Dana Fuchs und den anderen berühren mich zutiefst. Ich klammere mich an unsere Musik, ich leide an ihr. Für mich gilt noch immer „Blues is not a healer“, aber er tröstet und verbindet mich mit meinem Mann und mit „les bon temps“, die wir durch und mit dem Blues hatten.
2000
Prestige-Gewinn für Wendelstein – Abermals nahezu 30.000 Besucher beim New Orleans Festival
Mit diesem riesigen Zuwachs an Konzerten und Besuchern wurde der organisatorische Aufwand immer größer und die Durchführung dementsprechend anstrengender. Es könnte dieses Festival-Jahr gewesen sein oder auch schon das 99er, nach dem ich so ausgepowert war, dass ich Streik androhte, wenn Gerd das Programm weiter ausbauen würde. Entweder wieder langsame Reduzierung des Programms oder ich steige aus, so lautete mein Fazit der Erschöpfung.
Das Festival hat sich etabliert, wird aber aufgrund seiner personellen Situation nicht mehr wachsen.
Gerd in der AZ, vom 28.April 2000.
Diese Erschöpfung hielt ein paar Tage an und zeigte sich in Form von innerlicher und äußerlicher Unruhe („wie ein Tiger im Käfig“) sowie dem Verzehr von Unmengen an Schokolade und Chips. Da ich im Laufe der Festivalzeit immer einige Kilo abnahm, war das wohl die logische Folgereaktion des Körpers. Fand unmittelbar nach der New Orleans Woche irgendwo ein interessantes Konzert statt, die Hukes waren dort. Die körpereigenen „Drogen“ hatten für Höchstleistung gesorgt, der Abbau dauerte und so lief der Bluesmotor einfach weiter.
In diesem Jahr gab es viele Dankesworte, auch von Privat, die uns sehr gefreut haben. In allen umliegenden Tageszeitungen gab es Berichte über die Auszeichnung mit dem Blue Bird Award und das 2000er Festival.
Blauer Vogel für Huke – der Kulturreferent ist das „Mädchen für alles im Ein-Mann-Zirkus
Darin sind sich der Laudator Ron Ringwood und Ben Schmidt, der Präsident des Blues Forums Weinheim, der die Trophäe überreichte, einig. Schmidt nach einem Besuch in der Jegelscheune: „Das ist echter Blues: Am Nachmittag macht Huke den Soundcheck und richtet die Bühnenbeleuchtung, dann reiß er Karten ab, gibt Auskünfte, betreut die Künstler; beim Konzert macht er dann den Sound und das Licht- und nach dem Konzert steht er in der Garderobe und gibt Mäntel aus. Ein Mädchen für alles – und das mit höchstem Respekt gesagt.“ Ron Ringwood, der die enorme Publikumsresonanz erwähnte, sagte: „“Wendelsteins kommunale Kulturarbeit ist ein Ein-Mann-Zirkus, der mit geringsten Mitteln wahrhaft artistische Höchstleistungen vollbringt. Übrigens ist das eines der am schlechtesten zahlenden Festivals in Deutschland. Und trotzdem will jeder dort spielen. Bei einem echten Freund, der sich wie wir Künstler voll in den Dienst der Kunst und Kultur gestellt hat, tritt man eben gerne auf und macht dann halt notgedrungen Abstriche bei der Gage.“ Durch diesen Enthusiasmus, seiner persönlichen Fürsorge und Kontaktpflege zu Musikern, anderen Clubs und Festivals würde Gerd es eben immer wieder schaffen, Weltstars zum Festival aber auch in die Jegelscheune zu holen, so Ringwood weiter. Alle Zitate entnommen RHV, 24.3.2000
Auch der damalige Bürgermeister Wolfgang Kelsch hat Gerds Arbeit und Verdienste gewürdigt: „Zu Beginn meiner Amtszeit als Bürgermeister wurde ich bei Terminen mit Kollegen außerhalb unseres Landkreises oft gefragt: Wendelstein – das liegt doch in Oberbayern in der Nähe des gleichnamigen Berges. (…) Heute muss ich sie jedoch nicht mehr korrigieren. Denn die Antworten treffen häufig ins Schwarze: Wendelstein – das ist doch der Ort, an dem das große New-Orleans-Festival stattfindet. (…) verbindet jeder mit dem Festival einen einzigen Namen: Der Wendelsteiner Kulturreferent Gerd Huke ist von Anfang an ein begeisterter und engagierter Verfechter seiner Idee, Weltklasse-Musiker des Blues und Jazz in die Schwarzachgemeinde im Süden von Nürnberg zu locken. (…) Für sein Engagement (…) Dies freut mich besonders, da mit diesem bundesweit bedeutenden Preis die Leistungen Hukes eine Anerkennung finden, die er sich wirklich hart erarbeitet hat. (…) möchte mich den Glückwünschen anschließen (…) „Mitteilungsblatt „Liebe Mitbürger“
„Im Frühling grassiert dort ein Fieber mit verschiedenen auffälligen Symptomen. Da wären beispielsweise aufgeregt Wirte, die gern dabei wären, wenn Dixie, Blues, Jazz, Zydeco und Soul für volle Säle sorgen. (…) der heimische Einzelhandel inseriert nicht nur fleißig im 80 Seiten starken Programmheft, sondern dekoriert teilweise sogar die Schaufenster mit Musikinstrumenten und stimmungsvollen Fotos des „French Quarter“. (…) Ein Nebeneffekt ist, dass Anrufer, die im Rathaus nach den Betriebszeiten der Wendelstein-Seilbahn fragen, verschwunden sind. Der Ort (…) wird immer öfter Franken zugeordnet, und bereits Monate im Voraus fragen nun schon Jazzfans aus ganz Deutschland nach dem Programmheft für das New-Orleans-Festival.“ NN-Mantel, Feuilleton, 19.4.2000
In der AZ vom 5.5.2000 findet sich ein kurzer Tageshinweis unter der Ruprik „Wohin?“ von Andreas Radlmaier: „Freitag: Wendelstein und Eisen bricht, aber unsere Liebe zum Blues nicht: Wenn Georgie Fame, die Blues Band und Gitarrist Hiram Bullock Höhepunktglitzer im Dreierpack übers New Orleans Music Festival streuen, gleicht das einer Einladung zum kollektiven Bluesrausch.“ In seinem Artikel vom 8. Mai schreibt Andreas Radlmaier unter der Überschrift „Parkplatz der Jugendträume“ in einer leicht wohlwollend-ironischen Art, aber eine eher despektierliche Kritik das Festival als Veranstaltung für Nostalgiker und Altgewordene. „Jubel, Klatschen, Heiterkeit. Anzeichen fränkischer Zügellosigkeit. (…) Volksfest (als negativ konnotierter Begriff, der von Gerd positiv besetzt ist, Anm. d. Verf‘in), (…) von den guten alten Vinylzeiten“ des Georgie Fame und der „mittlerweile gut abgelagerten Frische der Blues Band“ ist die Rede, von „Senioren Swingers“, „drei Reservebank Divas, ebenfalls auf Musik-Salto rückwärts geeicht“ und zwei „glitzernden Wuchtbrummen“ (was mich zwar zum Schmunzeln bringt, aber die Bewertung der Stimmen vermissen lässt). „Dann lässt sich ja vielleicht auch der Sicherheitsabstand zu heutigen Trendbewegungen lockern. Langt ja, wenn in Wendelstein der Alte Kanal ruht.“ Aber Es gab das Nürnberger Festival Ost-West, es gab das Jazzstudio für modernen Jazz. Unser Festival war nie als Newcomer-Festival angekündigt und sollte auch kein Event für junge Leute sein. Und schon gar nicht ein Ort für moderne Musik. In Wendelstein fand das New Orleans Music Festival statt und das mit einer riesigen Erfolgswelle, so dass auch der Kanal nicht mehr still ruhte. Von einer Bierseligkeit und Vollverpflegung für den Leib anstelle für die Seele spricht A. Radlmaier. Ja, war wohl z.T. so. Aber o.k., es hat tausende von Menschen angesprochen. „Künstler aus der zweiten Reihe“ nennt der Kritiker die auftretenden Musiker. Ja, im Sinne von - statt Mick Jagger haben wir „nur“ Chris Jagger - stimmt es voll und ganz. Es waren freilich Künstler aus zweiter Reihe da, aber … was für welche!
Ebenfalls am 5.5.200 erscheint in der Abendzeitung ein längerer Artikel mit Konzertkritiken und Empfehlungen zum Endspurt von SPARK. Er schreibt, wie es ist, den kleinen Ort Wendelstein mit den großen Musikern, die hier auftreten in Verbindung zu bringen. Als Beispiel erwähnt den weitgereisten Hans Theessink auf dem Weg zum Kilimandscharo im ostafrikanischen Kenia. Quasi auf dem Weg dorthin „(…) gastiert er gerne wieder auf dem glänzend besuchten 7. New Orleans Music Festival in Wendelstein. Blues-Freunde wundert das gar nicht mehr. Denn Dank Gerd Huke, dem künstlerischen Leiter des Festivals (…) scheint die Außenwirkung Wendelsteins aus der Distanz gesehen inzwischen ähnlich exotisch wie die Timbuktus. Längst ist da die Schwarzach ein Seitenfluss des Mississippi. (…) Von herausragender Eleganz- vor allem für Jazzfans- war der Auftritt des Balladenspezialisten auf dem Saxophon Scott Hamilton in der Jegelscheune.“
„Hauptsache, es swingt – oder: Liegt Wendelstein eigentlich am Mississippi?“
Dies ist die Überschrift eines ganzseitigen Artikels zur Entstehung und zum Erfolg des Festivals im Donaukurier. Peter Felkel beschreibt zunächst detailliert, wie Gerd zum Blues kam. Diese Zeilen ergänzen perfekt meine Worte zu Gerds Werdegang. Felkel ist ein hervorragender (Musik)journalist und Kenner des Genres. Mir gefällt sein Artikel so gut, dass ich hier einiges zitieren möchte. Felkel hat kein klassisches Interview geführt, sondern es war ein Gespräch zwischen Journalist und Kulturreferent, vielleicht sogar eher eine Plauderei. Daraus ist dieser, wie ich finde, recht launig lockere Artikel entstanden.
Felkel beschreibt, wie Gerd als 16jähriger in einer Herzogenauracher Bäckerei R.H. Weston kennenlernte, der in dem benachbarten Viertel für amerikanische Soldaten wohnte (Housing Area). Dazu Gerd „Mein musikalisches Schlüsselerlebnis. Dort habe ich zum ersten Mal eine Stereoanlage gesehen, dazu die Platten (neben all dem schwarzen Blues) John Coltrane, Stan Getz und viele andere.“ Peter Felkel schreibt weiter „der Blues- und Jazzvirus hatte ihn gepackt. Zwei Jahrzehnte später hat Huke seine Passion zum Beruf gemacht.“ Schade eigentlich, dass R.H. davon wohl nie erfahren hat. Ich hatte ihn nur einmal in Giessen in den 70er Jahren getroffen, dann war er irgendwann zurück nach Amerika gegangen. Am Ende des Artikels schreibt Peter Felkel von einigen magischen Momenten, z.B. „wenn Jimmy Woode, ehemals Bassist bei Duke Ellington, um halb fünf Uhr morgens (bei der Jam-Session, Anm. d. Verf‘in.) angeschickert herumalbert (…)“ für die es sich laut Gerd zu arbeiten lohnt. „Und dafür, dass - wer weiß? - eines Tages ein Traum wahr wird und Van Morrison nach Wendelstein kommt, Willy de Ville oder Dr. John. Zuzutrauen wäre es Gerd Huke, diesem – im positiven Sinne – Besessenen (…)“ Donaukurier, 14.3.2000
“FLASHBACK“
Gedankensprung zum Tod von Dr. John
kommentiert am 6.6.2019
New Orleans und die gesamte Blueswelt hat einen famosen Musiker verloren. Ein Weiterer der ganz Großen hat sein persönliches Voodooland verlassen.
Dr. John war ein Original, der die Crescent City verkörperte und musikalisch verewigt hat. Kein Wunder, dass so viele Musiker ihn verehrten und sich auf ihn beriefen. Ein Beispiel dafür ist die grandiose Live Doppel-CD mit DVD „Dr. John – celebrating Mac and his music“, aufgenommen im Saenger Theatre in New Orleans 2016. Der erste Titel, man ahnt es, ist „Right Place Wrong Time“, hier mit Bruce Springsteen. Die Liste geht weiter mit Musikern wie John Bouttee, Aaron und Charles Neville sowie Cyril Neville (Royal Southern Brotherhood), Allen Toussant, Terence Blanchard (in Wendelstein aufgetreten), John Fogerty, Musikerinnen wie Mavis Staple, Irma Thomas und schließlich die Dirty Dozen Brass Band. Eine wunderbare Hommage mit einer Allstar-Band musikalisch geleitet von Don Was.
„…the blues were born in New Orleans“, so Louis Armstrong. Nicht nur der Blues, wie wir wissen. New Orleans ist Melting Pot und Wiege vieler musikalischen Entwicklungen und Ausrichtungen. Mit dieser Stadt werden so viele Begriffe verbunden: Big Easy, Mardi Gras, Jazz & Heritage Festival, Tipitina’s, Basin Street, Bourbon Street … und letztendlich leider „Katrina“, der Sturm, der New Orleans verwüstet und der Stadt die Seele geraubt hat. Viele Musiker/innen standen plötzlich vor dem Nichts, ohne Wohnung, ohne Instrument oder Musiksammlungen.
Zurück zu Dr. John: Malcolm „Mac“ John Rebennack oder kurz „der Doctor“, wie Gerd immer sagte, war und bleibt eine musikalische Ikone. Gerds Bewunderung für diesen Ausnahme-Musiker zeigte sich, ganz klar, in seiner umfassenden CD und LP Sammlung. Selbstverständlich gehörte auch Professor Longhair, ein „Lehrer“ und Vorbild für Dr. John, in diese Reihe der der NewOrleansMusic-Sammlung. Ich bin mir sicher, dass Gerd auch daher die Inspiration hatte „sein Festival“ nach der Stadt auszurichten und zu benennen, die so facettenreiche Musik und außergewöhnliche Musiker/innen hervorgebracht hat. Der Erfolg blieb nicht aus, wie wir wissen. Dr. John nach Wendelstein zu holen war leider nicht zu verwirklichen. Aber ich bin froh, dass wir „den Doctor“ einige Male live erlebt haben.
„Let the good times roll“, das stand in jedem Programmheft des New Orleans Music Festivals, das sagte Gerd stets auf der Bühne. Zu früh vorbei. Mir bleibt nur weiterhin in seinem Sinne zu sagen „we’re keepin‘ the blues alive“!
Nicht an ein Danach glaubend, denke ich mir manchmal in einer ganz kindlichen Vorstellung, es wäre doch schön, wenn sich alle verstorbenen „Heroes“ im Musikerhimmel treffen würden. Von Robert Johnson und all „den Alten“ über Jimi Hendrix, Janis Joplin und so unzählig vielen anderen wie auch David Bowie, Lou Reed und… und… und… bis zu Dr. John und inzwischen leider vielen weiteren Verstorbenen. Und Gerd? Er würde selbstverständlich die Konzerte planen!
Am Samstag, 22. April 2000 war Gerd übrigens zum ersten Mal von vielen Jahren im Radio Aladin zu hören. „Festival-Macher Gerd Huke plaudert über das Festival und legt Platten von Bands auf, die beim Festival auftreten werden.“ RHV, 19.4.2000
Nach so viel Würdigung nun aber zum Eigentlichen, der Musik. Für dieses Jahr nur in groben Zügen gestreift. Es fanden sechs Doppel- oder Dreifachkonzerte statt: Eine Zydeco / Cajun Nacht als Tanz in den Mai. Eine „Stormy-Monday-Blues-Super-Night“ mit B.B. & The Blues Shacks, Ron Ringwood’s Cross Cut Blues Band und Mighty Sam McClain & Band.
Es folgten zwei Abende mit unterschiedlichen Tributes to Louis Armstrong. Darauf folgte „The Eagle flys on Friday-Blues-Super-Nacht“ mit The Blues Band , Georgie Fame & The Blues Flames und The Hiram Bullock Group. Hiram Bullock, leider auch schon verstorben, hatten wir im Jahr vorher bei einem anderen Festival gesehen und waren total begeistert.
Das letzte Doppelkonzert, The All Star Night, bestritten The Three Divas mit dem Reggie Moore Trio und, wie schon Tradition in jedem Jahr, die Festival All Stars, dieses Mal mit Jimmy Heath, Albert „Tootie“ Heath, Jimmy Gorley, Gustav Csik & Jimmy Woode. Als Marching Band konnte Gerd neben der obligatorischen Ambrosia Brass Band für den zweiten Sonntag The N’awlins Brass Band gewinnen, die, wie der Name schon sagt, aus New Orleans kamen. Den Abschluss mit einem Gospelkonzert übernahm Ron Ringwood mit seinen Gospel Messengers. In den Kneipen gab es einige neue zu hören, so etwa Blue Soul mit Michael van Merwick, Tom Blacksmith Group, Master Charge, das Al Copley Trio, Jimmy D` Lane, `Reverend Rusty Stone & the Case und viele andere wunderbare Bluesmusiker. Nachdem die Jegelscheune im Jahr 1999 nicht bespielt wurde, hat Gerd sie für 2000 in Pianobar umgetauft. Dort traten u.a. auf: Jan Luley, die Entdeckung am New Orleans Piano, Max Neissendorfer, Trevor Richards und als I-Tüpfel: der hochgelobte „große Scott Hamilton im kleinen Club der Jegelscheune“.
PS: Ab dem Jahr 2000 hat mich Gerd im Programmheft als unentbehrliche Unterstützung mit aufgeführt. Ich kann nicht verhehlen, dass mich die Bemerkung im Vorwort gefreut hat. In den ersten Jahren war ich „die Frau vom Huke“, die ihn bei den Straßenparaden und als Zuschauerin begleitete. Als einzige Tätigkeit verkaufte ich T-Shirts und CDs bei den Hallenkonzerten. Wie auf dem Foto zu sehen, war das wohl nicht sehr anspruchsvoll. Hinzu kam, dass ich mich zwischen den arbeitenden Helfern zunehmend unwohl damit fühlte, weiter nichts zu tun zu haben. Das änderte sich dann plötzlich und mein Mittun schnellte quasi hoch von Null auf Hundert bis zur schon erwähnten Erschöpfung.
2001
„Compared to what…“ unvergleichlich: Les McCann, Chris Barber, Max Greger, Benny Bailey, Ray Brown, Scott Hamilton. Diese legendären Musiker standen in der eher ungastlichen Schwarzachhalle auf der Bühne. „Scott Hamilton unterbrach eigens seine Konzertreihe in England, als Gerd Huke ihn anrief und fragte, ob er nicht zusammen mit Ray Brown beim Festival spielen wolle. Hamilton wurde eigens für dieses Konzert eigeflogen.“ NZ, 7.5.01 Ray Brown spielte mit seinem Trio in Nürnberg und war danach in Wendelstein zu hören. SPARK dazu in der AZ,1.5.01:“…noch einmal zu hören – und mit Nachdruck zu empfehlen.“
Im Zelt beim FV gab es eine Super-Blues Night mit Michael Pickett, der Blues Company und Johnny Ferreira. An Michael Pickett habe ich merkwürdigerweise keinerlei Erinnerung. Die Blues Company kam in großer Besetzung mit Bläsersatz, mit dabei Albie Donnelly. Das war perfekt geplant, denn es folgte Johnny Ferreira mit seiner Swing Machine. Da war es gut, dass die Blues Company vorher schon ordentlich eingeheizt hatte. Ferreiras Swing Machine bestand aus sieben Musikern und zwei Musikerinnen. Mit Gerds Worten gesagt „da ging die Post ab“. Ein weiterer Abend hatte den Titel The Blues- & Soul-Night. „Es wurde eine Blues- und Soul-Nacht, die man so schnell nicht vergessen wird.“,ST, 6.5.01 Dabei waren James Hunter, der schon im Zelt beim Goldenen Herz den Altort zum Beben gebracht hatte und Ron Ringwood’s Blues Mania Show, eine von Ron zusammengestellte 11köpfige Super-Band. Bei der Great Funk-, Rap & HipHop-Night dachte Gerd wohl zum ersten Mal auch an eine weitere Zielgruppe. Das würdigte in diesem Jahr Andreas Radlmaier in der Münchner Abendzeitung in seinem Artikel am 3.5.01. mit „Jungvolkköder als Kontrast-Scheitelpunkt“. In anderen Artikeln war zu lesen von Altstars, Newcomern und jungen Wilden.
Der eine Köder war sicherlich Haffners Zappelbude. Als wahres Energiebündel mit ungeheurer musikalischer Power zeigte sich der ehemalige Trompeter von Earth, Wind & Fire (also doch für die etwas Älteren unter uns) Boney Fields mit seinem Bones Project. Sein Funky Blues konnte kaum getoppt werden. Wäre da nicht Nils Landgren Funk Unit als dritte Band gewesen. „Zappelnde Knochen“ auch bei den Zuschauern, ein schweißtreibender, atemraubender Abend.
Den Frühschoppen mit Volker Heißmann und der Pavel Sandorf Big Band würde ich als Ausreißer bezeichnen. Gerd hatte nochmals dem Kommerzwunsch des FV Vorstandes nachgegeben. In diesem Jahr endete die Zusammenarbeit. „Nach jeder Witz-Salve folgte eine musikalische Einlage (…) Evergreens von (…) gehen den meisten Zuschauern sofort ins Ohr. Aber eben nur den meisten. Bei den reinen Instrumental-Stücken fängt ein Teil des Publikums sogar ein Pläuschchen an. Dies stört die Musik-Genießer. Deshalb bittet Gerd Huke (…) in der Pause um mehr Ruhe während der musikalischen Einlagen.“, ST,NZ, 3.Mai
»BACKSTAGE«
„Mitveranstalter II“
oder: was alles schieflaufen kann bzw. der alljährliche Wahnsinn
Gerd ließ sich auch auf den Wunsch des Vereins ein, selbsttätig Kabarett-Frühschoppen im Saal des FV zu organisieren, aber im Programm des Festivals aufgenommen zu werden. Der erste war ein peinlicher niveauloser Auftritt und ließ einige Gäste mit Kopfschütteln und mich nach kurzer „Visite“ fassungslos und schamgerötet den Raum verlassen. Gerd hat daraufhin die nächsten Veranstaltungen „in Eigenregie des Vereins“ angekündigt. Auch mit Musikbegleitung war es nur ein fauler Kompromiss und eigentlich fehl beim Blues & Jazzfestival. Der im Artikel benannte überzählige Kartenvorverkauf für das sog. FV-Zelt war eindeutig dem Vereinsvorstand als Fehler zuzuschreiben. Es wurden einfach mehr Karten gedruckt als von Gerd vorgegeben. Ein anderes Mal wurde nahezu ein Drittel im vorderen Bereich für geschäftliche und private Bekannte von Vereinsmitgliedern großzügig und deutlich sichtbar abgesperrt. Unsere Besucher empfanden das zurecht als „1. Klasse-Lounge“ und mussten nach langem Anstehen hinten Platz nehmen oder stehen bleiben. Nachdem ich Gerd hinzugerufen hatte, hob er diese Einteilung auf. Nun gab es einen Aufruhr bei den sog. „Ehrengästen“, weil diese nun nicht ihren zugesicherten Platz bekamen. Kurzgesagt, es gab einen regelrechten Tumult und ich fürchtete kurze Zeit ernsthaft um Gerds körperliche Unversehrtheit. All dies war nicht sein Verschulden, doch letztendlich war er verantwortlich. Er hatte dem kommerziellen Anliegen und dem äußeren Druck nachgegeben und musste mit Schmähungen und Anfeindungen bitter dafür bezahlen. Es waren die hervorragenden Musik-Performances, die den Ärger schließlich besänftigten.
Das Zusammenfügen unterschiedlicher Anliegen und Vorlieben war nicht einfach und es ist mit Sicherheit kein Geheimnis, dass einige Mitveranstalter mit dieser Art der Musik nicht unbedingt was anfangen konnten und manchen das Musikbusiness bzw. sogar die Musiker irgendwie suspekt erschienen. Wir alle kennen unterschiedliche Gastkulturen. Eine mindeste Wertschätzung wäre immer wünschenswert. Ich habe Unerfreuliches von Musikern erzählt bekommen und leider während meiner Kneipenbetreuung auch selber miterlebt. Erfreulicherweise gab es aber über die Jahre hinweg auch eine Art Verbundenheit zwischen Gastwirten und Musikern. Nicht nur im Gasthaus zur Post, als ein Beispiel, waren alle Bands herzlich willkommen. Die Bands, speziell Free Beer & Chicken, wurden hier stets mit einer Jause empfangen. Captain Gumbo kamen Jahre später auf der Durchfahrt von Holland in den Süden im Gasthaus Brunner vorbei um dort Pause zu machen und zu essen. Der alte Herr Brunner erzählte uns tags darauf freudig „Der Gumbo war da!“ Ähnlich erging es manchen Bands in Guys Weinhaus mit Frau Zuger, die sich z.B. mit der Boogie Connection, den Stimulators und anderen Bands aufs herzlichste verbunden fühlte. Zwei mir in Erinnerung gebliebene unangenehme Auftritte waren der selbst organisierte “singende Gastwirt“ auf Kirchweihniveau als peinliches Ereignis und eine jugendliche Amateur-Jazzdance-Gruppe. Die Dimension und das Renommee des Festivals wurden hier wohl einfach nicht erkannt.
Aber mit jedem Jahr haben alle, Gerd, ich, Mitarbeiter sowie Mitveranstalter dazu gelernt.
Das Schwabacher Tagblatt und die NZ veröffentlichte täglich eine ganzseitige Vorschau auf den jeweiligen Festivaltag. In allen acht Artikeln wurde mit Fotos über eine Auswahl an Konzerten berichtet. Im Wochenanzeiger vom 19.4.01 gab es eine große Vorankündigung mit folgender Einschätzung: “Das Wendelsteiner Festival hat sich inzwischen zu einem nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. (…) Berichte im Bayerischen Fernsehen, auf 3Sat und arte, in den Fachmagazinen, in Spiegel und Stern und in der Tagespresse bundesweit machten Wendelstein so bekannt (…) Ähnlich wie Burghausen definiert sich Wendelstein inzwischen über das Festival (und nicht mehr über den Berg, Anm. d. Verf’in).“
Es gab immer wieder neue Ideen. So fand in diesem Jahr im Hotel Zum Wenden neben zwei Frühschoppen eine Jazz-Gala am Abend mit dem Lorenzo Petrocca Trio statt.
Das Cafe Schmitt mitten im Altort beteiligte sich mit einigen Konzerten und das historische Gasthaus zum Gelben Löwen in Röthenbach öffnete seine Tür für ein Konzert mit dem Thomas Fink Trio. In Guys Weinhaus spielten in diesem Jahr u.a. wieder drei bewährte Bands: Boogie Connection, Root Bootleg sowie Abi Wallenstein und Henry Heggen. Beim jetzigen Durchblättern des Programmheftes muss 2001 ein Festival ganz nach meinem Geschmack gewesen sein. Ein super Blues-Act folgte dem nächsten. Guy Davis mit The Routes of Blues, Tommy Schneller mit seiner Band Extravaganza +Brass, Dr. Will’s Gangsters of Love und Albie Donnelly’s Big Three. Allesamt traten in den St.Wolfgangstuben auf. Nicht gerade das, was zu einem Bluesclub mutieren könnte, im Gegenteil, biederster Gasthaussaal, aber bestückt mit toller Musik! Nach einigen Jahren und Erfahrungen, auch von anderen, wussten die Musiker schon, wo sie in Wendelstein hingeraten könnten. Alle hätten selbstverständlich am liebsten in der Jegelscheune gespielt, die Festivalwoche hatte aber nur neun Abende. Dort zu spielen hatten in diesem Jahr „die Ehre“ der damals erst 28jährige Jermaine Landsberger am swingenden Piano mit dem noch jüngeren, aber schon nachgefragten Bassisten Davide Petrocca, Bruder des o.g. Lorenzo und Dejan Terzic an den Drums. Der Festivalname Piano Bar wurde bestätigt durch die Auftritte von Martin Schmitt, Axel Zwingenberger und dem British Boogie Master Bob Hall. Ohne Piano allerdings trat die Band von Harp Player Mojo Buford auf. 1929 in Mississippi geboren zog Mojo später nach Chicago wurde von Muddy Waters, bei dem er lange Zeit spielte. Sein Stil blieb aber stets von der Tradition des erdigen und kraftvollen Mississippi-Blues geprägt. „Auch gesanglich voll auf der Höhe präsentiert er seinen Blues und begeistert sein Publikum mit stilistisch nur selten gehörter Authentizität.“ ST/NZ, 23.April 2001
Für den „Brunner Saal“ hatte Gerd einen echten Coup geplant. Am ersten Abend traten dort drei hochkarätige Solisten. „Es ist für mich noch lange nicht Zeit zu gehen. Ich habe den Leuten noch viel zu geben.“, sagt David „Honeyboy“ Edwards, der 85jährige Blues-Gitarrist. „Für Festivalmacher Gerd Huke zählt Edwards, der mit Blues-Urvätern wie Homesick James oder dem großen Robert Johnson spielte, zu den absoluten Legenden des Blues. Ein bescheiden gebliebener Virtuose, der mit stillem Lächeln rasante Läufe aus seiner E-Gitarre perlen lässt und dazu mit brüchigem Tenor die Götter des Downhome Blues beschwört (…) lebt dieses Festival doch mehr als andere vom Flair lauschig-intimer Kneipenbühnen, in den Blues und Jazz eher heimisch wirken.“ NN, 30.4.01, Feuilleton Gerd hatte wieder mal einen Konzertabend mit Fingerspitzengefühl zusammengestellt, der niemals wiederholbar sein würde. Tom Shaka trat zusammen mit Honeyboy auf, als Auftakt aber war der in Europa als Geheimtipp gehandelte Blueser Michael deJong engagiert. Das war ein überaus eindrucksvoller Abend. De Jongs Solo-Performance ging direkt in Herz, Seele und Bauch. Honeyboy Edwards Auftritt war schon allein wegen seines Lebenswerks „zum Niederknien“. In altbewährter Qualität wurde das Nightcafe wieder von Boogie Radio, die Session von Peter Schneider & The Stimulator geleitet.
Nightcafe: Dieses Foto rührt mich ganz besonders. Gerd kommt bepackt mit seinen „Wendelstein-Leinen-Beuteln“, in denen er sein Tagesbüro verstaute, und seiner Fototasche nach Beendigung der Hauptkonzerte in die Session. Er schaut nicht erschöpft aus, sondern erleichtert und froh in dem Sinne „Puh, wieder einen tollen Abend geschafft“. An manchen Abenden klatschten die Besucher/innen, wenn wir den Raum betraten; welche Ehre!
Um dem Dixieanteil am Festival gerecht zu werden, engagierte Gerd selbstverständlich auch eine Vielzahl regionaler Bands, deren Auftritte zum Frühschoppen sich großer Nachfrage erfreuten. Hier eine Aufzählung der in 2001 zahlreich vertretenen Bands in zeitlicher Reihenfolge: The Hot House Hooters, Swing-A-Pur, Old Riverhouse Jazzband, New Orleans Rhythm Boys + One, Conny Wagners Dixie GmbH, New Richies Dixieband, Swing Report, Alex Jazzhaufen, Collegium Dixicum, Opa’s Jazzband.
Das jährliche Gospelkonzert zum Abschluss des Festivals fand in diesem Jahr in der Schwarzachhalle statt. Es war kein großartiger Erfolg. Dazu eine Erklärung in NZ und ST vom 8.5.01: „Erstmals konnte dieses Konzert aus denkmalpflegerischen Gründen (Wiederaufstellung des restaurierten spätgotischen Dreikönigsaltars) nicht, wie gewohnt, in der St.-Georgskirche stattfinden, sondern musste in die Röthenbacher Schwarzachahlle verlegt werden. Das schreckte leider zahlreiche Besucher ab…“ „Festivalmacher Gerd Huke bedauerte, dass keine Gospel-Konzerte mehr in der Wendelsteiner St. Georgskirche möglich sind.“ Was wäre, wenn ein Gottesdienst von 400 Menschen besucht werden würde? Würde man die auch aus Gründen des Denkmalschutzes aussperren? Die Geschichte mit dem Gospel in Wendelsteiner Kirchen war hiermit leider noch nicht beendet.
Der Abschied von der Schwarzachhalle und dem Zelt beim FV nach diesem Jahr war allerdings eine bewusste Entscheidung von Gerd. Er hatte mittlerweile die Hoffnung auf eine richtige Konzerthalle aufgegeben, auch wenn im Schwabacher Tagblatt vom 17.3.01 in einem großangelegten Artikel anderes zu lesen waren. „…will sich nun der TSV Wendelstein auf seinem Gelände an ein Hallenzentrum wagen (…) für kulturelle und sportliche Ereignisse. (…) so dass mit verschiedenen Hallenzuschnitten auf Besucherzahlen von 150 bis 1000 reagiert werden kann. (…) Sogar ein Großereignis im Pop/Rock-Bereich (??? Die Verf’in) mit bis zu 2200 Besuchern wäre denkbar.“ Es sollten andere Vereine einbezogen werden. Es war eine große Ankündigung, und es war noch nicht der 1. April, aber es wurde so schnell zu einem Flop, so schnell konnte man sich gar nicht freuen.
“FLASHBACK“
Gedankensprung im Juni
zum 80sten Geburtstag von Bob Dylan (24. Mai) und Charlie Watts (2. Juni)
Haben wir jemals daran gedacht, dass unsere Idole mit 80 noch auf der Bühne stehen werden? Oder, dass sie überhaupt dieses Alter erreichen würden?
Ich bin zwar nicht der größte Dylan-Fan, habe aber selbstverständlich am Tag seines Geburtstags BR2 gehört und CDs aufgelegt. Bis auf wenigen Ausnahmen gefallen mir immer noch Interpretationen seiner Songs von Anderen am besten. Bei mir im Hintergrund läuft „Tangled up in Blues- Bob Dylan- This ain’t no tribute“ von 1999. Es singen und spielen u.a. Taj Mahal, John Hammond, Alvin „Youngblood“ Hart, The Holmes Brothers, um nur die zu nennen, die bei uns in Wendelstein aufgetreten sind. Äußerst interessant finde ich ebenso Aufnahmen von Dylan mit anderen zusammen. Fantastisch Dylan und Willi Nelson, Dylan mit Mick Jagger. Aber ganz grandios in meinen Ohren klingt sein Alterswerk (so erscheint es mir) „Rough and Rowdy“ von 2020, abgeklärt, unaufgeregt, stimmig, authentisch.
Großer Stones-Fan bin ich seit mehr als 50 Jahren. In einem Jahr in Florenz, wir kommen gerade aus der Medici-Kapelle, sehen wir Charlie Watts an uns vorbei hineingehen. Wir überlegten kurz, ob wir ihn ansprechen sollten uns warteten Ausgang. Wenig später kam Charlie Watts wieder heraus. Er war ohne jegliche Begleitung und Security. Anscheinend hatte ihn niemand außer uns erkannt. Gerd ging zu ihm und fragte höflich, ob er ein Foto von ihm und mir machen dürfte. Watts lehnte genauso höflich ab „Please keep my privacy“ und erklärte im zweiten Satz, dass er Urlaub mache und die Kultur genießen möchte.
2002
Für dieses Jahr fehlt mir leider die Mappe mit den Berichten zum Festival, die Gerd immer zusammengestellt hatte. Ich habe nur eine Zeitungskritik und ein kurzes Interview. Also geht es mit Beschreibungen über die Musik und einigen Neuerungen weiter. „Eine echte Neuheit gab’s diesmal: mit dem „Sternenzelt“ für 700 Zuhörer hat das Festival endlich einen stimmungsvollen Hauptspielort erhalten.“ NN, 6. Mai 2002
Dieses Foto habe ich als echtes Bild noch im Kopf. Das Zelt war einige Tage vor dem Festival schon fertig aufgebaut. Zu dieser Zeit war die Wiese quietschgrün und es blühte der Löwenzahn. Wenn wir, wie so oft, am Abend aus Röthenbach vom Brunner vom Essen kamen, hatten wir diese Aussicht vor uns und freuten uns über diesen tollen neuen Spielort. An sieben Abenden wurde das Zirkuszelt bespielt. Da der gesamte Ablauf und Organisation nun nochmal erheblich größer waren, war Gerd nun ab Mittag bis in die Nacht an diesem Spielort. Alle anderen Spielstätten blieben mir überlassen.
In der Jegelscheune hatte ich die Begrüßung übernommen, da Gerd der Meinung war, die Gäste dort waren es jahrelang gewohnt, begrüßt zu werden und etwas über die Musiker zu hören. Zunächst war ich aufgeregt, es hat dann aber wohl recht gut geklappt. Es war wie beim Anzeigen aquirieren, ich konnte es, weil ich wusste wofür.
Das Zelt verfügte über Holzfußboden, dicke Planen und eine sehr große Bühne. Akustik und Beleuchtung waren hervorragend. Die Zuschauer saßen auf bequemen Stühlen, zwischendrin standen vereinzelt Tische. Rundherum am Rand war ausreichend Platz für bewegungsfreudige Menschen. Das Sternenzelt, so genannt wegen des Sternenhimmels, konnte ca. 800 Zuschauer fassen. Davor stand ein kleineres Eingangszelt mit Getränke- und Essensbistro. Linkerhand gab es einen Ein- und Übergang zum Backstage und Cateringzelt. Am Rande des umzäunten Geländes stand ein kleines Holzbüdchen zum Kartenverkauf, davor Platz für die Autos der Mitarbeiter und Musiker. Die Gäste konnten bequem in unmittelbarer Nähe parken und ihre Autos stehen lassen, wollten sie später gegenüber ins Nightcafe oder zur Jam-Session gehen. Das „Musician Hangout“ wurde in diesem Jahr von dem Duo Gregor Hilden & Horst Bergmeyer bestritten. Die Session Band war der „Boogie Circus“ mit Steve „Big Man“ Clayton, Peter Schneider, Uli Lehmann uns Michael Maass. Im Zelt spielte Bob Hall, „the british blues & boogie master“ oder auch „der Zwingenberger Englands“ eine Stunde vor Beginn der Show und in den Pausen. Damit wollte Gerd dem Publikum ein Schmankerl anbieten um schon die Wartezeit angenehm und musikalisch spannend zu gestalten. Die Sparkasse Roth-Schwabach nutzte den Sog des Festivals und „mietete“ das Zelt für einen Frühschoppen mit der Old Riverhouse Jazz Band am letzten Sonntag. Die Einnahmen kamen den Kindergärten des Marktes Wendelstein zu Gute.
Am ersten Abend wurde eine New Orleans Jazz Night zelebriert. Es traten die Magnolia Jazz Band of Norway sowie die Storyville Shakers auf. Sie brachten den Startrompeter Leroy Jones aus New Orleans mit, der schon als Drittklässler Leadtrompeter seiner Schulband war und über den Wynton Marsalis sagte: „Leroy Jones spielt mit unglaublichem Humor, großer Musikalität, Ausstrahlung und Inspiration…Man fühlt seine große Ausdruckskraft, die Liebe zur New Orleans Music und seiner Heimatstadt. Er lässt die Zuhörer in der ganzen Welt an unserer Freude, an unserer Jazzkultur teilhaben.“ Walter Payton, einer der profiliertesten Bassisten der New Orleans Musik und Jazzlegende, spielte als reguläres Mitglied in der Preservation-Hall Jazzband. Sein Sohn Nicolas Payton, der aufstrebende und fabelhafte Trompeter, gastierte bei uns schon ein paar Jahre vorher in der Schwarzachhalle.
Am nächsten Abend, Montag, 29.4., erwartete uns der absolute Kontrast mit Stan Webb’s Chicken Shack und The New Buddy Miles Express. Mit dem Bandnamen ohne das New darin begann Buddy Miles seine Karriere nachdem er von Mike Bloomfield entdeckt worden war. 1969 dann die Gründung von „Band of Gypsys“ mit Jimi Hendrix. Nach dem Tod von Hendrix legte er seine Express-Band neu auf. Nebenbei und immer wieder spielte er mit allen möglichen Größen der Pop-Blues-Rock und Jazz-Szene, kehrte aber nun mit seiner neuen Formation zurück.
Schon in 2002 gab es die Chicken Shack 30 Jahre. Man kann also durchaus sagen, eine 100% eingespielte Band. Bei Stan Webbs erstem Auftritt in Wendelstein war die Band wahnsinnig laut, wie es hier im Zelt war, erinnere ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Stan Webb bei einem Konzert bei uns wahnsinnige Schulterschmerzen hatte, von unserem Hausarzt zwar behandelt wurde, aber unter großen Schmerzen spielte. Eine Absage des Auftritts stand für diesen Profi nicht zur Diskussion.
Kontrastprogramm am nächsten Abend. Wenn ich das richtig einschätze, so hat Gerd wohl geschaut, dass an einem Abend eher Blues und am anderen Jazz gespielt wird. So hatte das entsprechende Publikum Zeit zum Verschnaufen oder konnte eine andere Location besuchen. Die Zirkuszelt-Bühne war wie geschaffen für diese zwei Formationen. Die Barrelhouse Jazzband, schon damals Jahrzehnte im Geschäft, bringt den New Orleans Sound authentisch rüber wie keine andere europäische Band. Ganz anders Les Haricots Rouges, die in der gleichen Liga spielen, aber den New Orleans Sound mit karibischen Einflüssen und französischem Esprit darbieten.
Es folgten drei Tage für die Blueser. Am 1. Mai mit Albie Donnellys Supercharge und original Louisiana Music mit dem Zydeco Superstar „the Crown Prince of Zydeco“ C.J. Chenier. Sein Vater war der Zydeco Pionier Clifton Chenier „the king of Zydeco“. Es folgte eine Soul&Blues&Funk&Rock Nacht mit der Mighty Sam McClain Band und The Hiram Bullock Group. Hiram Bullock war zum zweiten Mal in Wendelstein. Sein erster Auftritt musste zu früh abgebrochen werden, weil es spät geworden war und seine Musik weit zu hören war. Er war einer von vielen begnadeten Gitarristen, die Gerd nach Wendelstein geholt hatte. Leider ist dieser fantastische Musiker viel zu früh verstorben, ein großer Verlust für die Blues-Rock-Szene. Es bleiben eine Vielzahl von eigenen Alben und über 500!, auf denen er als Gitarrist sein Können beisteuerte.
Am nächsten Abend lautete der Titel „Stars under the blues(s) sky“. The Spencer Davis Group: jeder kennt sie, was soll ich zu dieser Rocklegende noch sagen. Schon 1963 in Birmingham von Spencer Davis und Pete York mit Steve Winwood gegründet, gab es sie immer noch bzw. wieder. Neben Spencer und Pete mit dabei Colin Hodgkinson, Miller Anderson und Eddie Hardin. Colin und Miller traten über die Jahre in unterschiedlichen Formationen bei uns auf. An Eddie Hardin erinnere ich mich persönlich an die Zeit des Duos Hardin & York, die ich als junges Ding in der Discothek „Mülltonne“ in Hannover gesehen habe. So sah ich sie nach 30Jahren wieder, diese mal auf der anderen Seite der Show.
„Jetzt kommt Hammond zu „Hukes Festival“, nachdem er schon im November 2000 in der kleinen Jegelscheune ein gefeiertes Gastspiel gab - ein Ereignis, wovon bundesweit in der Szene gesprochen wurde.“ Verf.unbekannt Ins Sternenzelt kam John Hammond mit seiner Band „Wicked Grin“. Die gleichnamige neueste CD wurde von seinem langjährigen Freund Tom Waits produziert, die Songs allesamt von ihm komponiert. Am letzten Abend im Sternenzelt gab es noch eine „Very Special Jazz Night“ mit dem Thilo Wolf Quintett und Hugo Strasser mit seiner Hot Five. Hugo Strasser gründete Anfang der 60er Jahre (da war Thilo Wolf noch nicht geboren) sein Tanz-Orchester und im Jahr 1987 zur Feier seines 65. Geburtstags im Münchner Bayerischen Hof die Hot Five. Auf die Frage, wie alles anfing, war die Antwort ohne zu zögern „Mit Swing!“. Thilo Wolf erfüllte sich seinen Traum einer Big Band 1992 zur Gründung der BR Fernsehrehe „Swing it“. So war es naheliegend, beide Musiker unterschiedlicher Generationen, aber mit gleichen Musikwurzeln, auf die Bühne zu bringen. Eine schöne Geschichte am Rande. Der Gründer der Tanzschule Krebs hatte in den Anfangsjahren mit Hugo Strassers Tanzorchester gearbeitet. An diesem Abend im Sternenzelt besuchte der Senior das Konzert, er saß in der ersten Reihe und wurde selbstverständlich von Hugo Strasser begrüßt. Nach dem Konzert liefen bei der Wiedersehensumarmung kleine Tränen. Es war sehr berührend.
Auch im diesjährigen Programmheft wurden wieder Werbeanzeigen geschaltet, die direkt auf das Festival Bezug nahmen. Geschäftsleute beteiligten sich am Musikgeschehen. Das Einkaufszentrum „Wenden-Center“ veranstaltete einen dreistündigen Dixienachmittag. Cafe Schmidt baute extra ein Party-Zelt an, damit alle Besucher/innen einen gleich guten Blick auf die Bands haben konnten und erstmalig fand eine Show für Kinder statt. Allerdings blieb es bei diesem einmaligen Versuch.
Im „Gasthaus zur Post, beim Brunner, wurde an vier Abenden 1-A-Blues zelebriert: Tom Shaka, Free Beer & Chicken, Ludwig Seuss & Band und die Neuentdeckung „Sir“ Oliver Mally’s Blues Destillery. Oliver Mally und Raphael Wressnig sollten noch mehrmals und in verschiedenen Formationen nach Wendelstein kommen. Heute (29.6.21) lag die neueste Ausgabe der „Blues News“ im Briefkasten. Olivers neue CD/LP, auf der Raphael wieder mitspielt, wurde sehr gut besprochen. Und auch in den wenig anheimelnden St. Wolfgang-Stuben konnte man wieder hervorragenden Blues erleben: Aynsley Lister & Band, die Al Jones Bluesband, Peter Schneider & The Stimulators, Soul mit Johnny Rodgers & Gregor Hilden Band und Oldies but Goldies mit Simon Holliday.
Vier Konzerte von sieben in der Jegelscheune wurden von wunderbaren und extrem unterschiedlichen Frauen performt: „La Primadonna del Jazz & Blues“ Laura Fedele aus Mailand mit ihrem Trio, das Lilly Thornton Quartett, das Anke Helfrich Trio und wieder einmal das herausragende Duo Friend’n Fellow mit der unbeschreiblichen Stimme von Constanze Friend.
Dies war eine persönliche Auswahl aus 2002.
»BACKSTAGE«
das Geschäft
Im Musikgeschäft gibt es Regeln, die vertraglich festgelegt werden oder unausgesprochen gelten. So gilt für die Auftritte von Künstlern eine räumliche Bannmeile und zeitliche Begrenzung. Ist eine Band auf Tour, so kann sie nicht an einem Tag z.B. in Roth und am nächsten in Wendelstein auftreten. Es braucht ausreichend zeitlichen Abstand oder einen Kilometerradius, wobei ländliche Gegenden anders bewertet werden als großstädtische Ballungsräume. Absprachen im Nahraum sind sinnvoll, Konkurrenzverhalten zueinander gibt immer ein schlechtes Bild, ist aber wohl nur schwer zu vermeiden. Letztlich hängt es natürlich auch vom respektvollen Umgang der Veranstalter miteinander ab. Ein Akt der Kollegialität ist andererseits, dass für fremde Veranstaltungen durchaus geworben wird. Anders erlebt haben wir es in Wendelstein, als in Fürth das New Orleans Festival! aufgebaut wurde. Schon allein der Name sollte Gleichwertigkeit suggerieren und für Aufmerksamkeit sorgen. Ganz dreist aber war, dass während unseres Festivals eine junge Frau von einem Veranstaltungsort zum anderen ging und ohne Rücksprache mit Gerd Plakate aufhängte und Flyer auslegte, äußerst unhöflich und auch unüblich. Gänzlich unverschämt und unprofessionell aber war, dass die Musiker vor Ort angesprochen und ihnen mitunter doppelte Gagen geboten wurden. Loyale Musiker erzählten Gerd davon. Sie hatten dann die Wahl, wo sie weiterhin auftreten wollten. Waren Agenturen zwischengeschaltet, so oblag ihnen die Aufgabe, dafür zu sorgen, Konkurrenz möglichst zu vermeiden. Es sollte allerdings selbstverständlich sein, sich erfolgreiche Bands nicht wegzunehmen.
Veranstalter: Konkurrenten oder Mitbewerber?
Im Jahr 2001 fand eine sehr unerfreuliche einseitige Auseinandersetzung in der Presse statt. Und zwar mit der Bookerin der Rother Bluestage. Ich zitiere aus der AZ vom 2.3.01: „(…) und der Schweizer Hank Shizzoe gehören da zum Entdeckungsangebot. (…) Ermüdungserscheinungen beim Publikum kann Ruth Kiefer nicht entdecken. Eher machen ihr die Kollisionen mit dem zeitgleich (? Die Verf’in) steigenden New Orleans Music Festival in Wendelstein Sorge: Den Bluestagen die Künstler auszuspannen, sagt sie, sei keine schöne Art“. „Echten Ärger gab’s in diesem Jahr nur mit der Konkurrenz aus Wendelstein. Dort findet kurz nach den Bluestagen das (…) Da kommt es schon mal vor, dass zwei Veranstalter um einen Künstler buhlen, nach einigem Gezerre wird nun aber der (…) seine neue CD vorstellen.“ Hank Shizzoe gastierte schon, wie wir wissen, Jahre vorher in Wendelstein. Gerd war immer ein Teamplayer und hätte niemandem die Künstler ausgespannt. Genau diese Veranstalterin war es, die Jahre zuvor zu Gerd gekommen war und um Hilfe bat, weil sie angeblich von Seiten der Rother Stadt-Politik angehalten wurde, auch Blues zu veranstalten und sie davon keinerlei Ahnung hätte. Gerd gab ihr Hilfestellung und nannte ihr Kontaktdaten von Agenturen und Musikern. Es folgte die Etablierung der „Rother Bluestage“. Mit den späteren Verantwortlichen der Kulturfabrik gab es, soweit ich weiß, ein gutes Nebeneinander. Ebenso wie mit Peter Harasim vom Hirsch in Nürnberg und Udo von der Kofferfabrik in Fürth. Das Jazzstudio verfolgte ein gänzlich anderes Programm, man war sich freundschaftlich und respektvoll verbunden.
2003
Zum zehnjährigen Bestehen des New Orleans Music Festivals gab es Glückwünsche, die z.T. im Programmheft abgedruckt sind. Hier sind Auszüge aus fünf „Grußworten“ zu lesen.
Bürgermeister Wolfgang Kelsch:“ Es ist unserem Kulturreferenten und seinem Team gelungen, ein über die Grenzen Europas hinaus beachtetes internationales Musikereignis in einer fränkischen Marktgemeinde zu etablieren (…)“
Landrat Herbert Eckstein:“ Seit 10 Jahren sorgt Festival-Macher Gerd Huke mit seinem Team mit Fachkenntnis und langem Atem für ein Highlight in der Region.“
C.Ray Nagin, Mayor:“I would also like to honer Gerd Huke.(…)We are exceedingly apreciative of your hard work and expertise. From the City of New Orleans I extend my warmest wishes for a wonderful festival experience.“
Walter Schätzlein, fränkischer „Jazz-Papst“: „Die 10 Jahre sind Grund für einen Rückblick im Stolz. (…) Wenn aber eine solche Veranstaltung zu einem Musikfest wird (…) so ist das schon etwas Außergewöhnliches.“
Peter Felkel, Redakteur des Donaukuriers, Kritiker des Musikexpress, großer Bluesliebhaber und –Kenner, Freund: „Blues kann man nicht erklären, man muss ihn fühlen, hören, erleben, man muss ihn lachen und weinen, man muss zu ihm tanzen oder still dasitzen und sich seine Geschichte erzählen lassen. Eine Geschichte, die unweigerlich irgendwann auf das Mississippi-delta zurückkommt und auf die „Crescent-City“ New Orleans, dorthin also, wo- in den Clubs und Kaschemmen, den Bars und Bordellen, den Unterkünften der Sklaven auf den Plantagen ringsum: Jazz und Blues, Rock’n’Roll und Rhythm ‚n‘ Blues, Funk und Soul, Zydeco und Gospel. Diese gesamte musikalische Bandbreite darzustellen – authentisch, dabei aber nie akademisch, populär, dabei aber nie populistisch -, das macht einen Gutteil der Magie aus, die das NewOleansMusicFestival Wendelstein seit 1994 zu einem ganz speziellen Ereignis für Musiker aus aller Welt, veritable Legenden darunter, und für Musikliebhaber aus nah und fern werden ließ. (…) und doch ist es ein Name, mit dem dieser mittlerweile neun Tage dauernde Musikmarathon - längst einer der renommiertesten seiner Art in Europa – verbunden bleiben wird: Gerd Huke, Gründer, Kopf, Herz und Hand des Festivals, lebt, liebt und versteht Musik, zumal die aus dem „Big Easy“, wie kaum einer und er ist unermüdlicher Motor, Manager und Motivator. Einer, der Träume wahrgemacht hat – seine eigenen und die eines treuen Publikums. Zur zehnten Auflage des „Blues & Jazz Open“ sei deshalb ihm und uns gewünscht: Möge die Musik niemals enden. Denn also sprach Mac „Dr. John“ Rebenack:“ Oh man, New Orleans music makes me feel the best.“
In der NN, Feuilleton, vom 5.Mai 2003 ist von Stefan Mössler und Peter Gruner unter der Überschrift „Musik-Abenteuer ohne Berührungsängste“ zu lesen: „Eigentlich ist es ja kein gutes Omen, wenn ein Kulturmanager bei Veranstaltungen über das Handy der Friedhofsverwaltung zu erreichen ist. (Für die Kultur gab es kein eigenes Handy, Anm. d. Verf.) Doch beim Wendelsteiner New Orleans Music Festival ist ohnehin vieles anders. Zum zehnten Mal wurde dort vom Kulturreferenten Gerd Huke mit bescheidenen finanziellen Mitteln ein Programm auf die Beine gestellt, das sich sehen lassen kann. (…) von Jahr zu Jahr verlieren dabei Dixieland-Klischees immer mehr an Bedeutung.“
Andreas Radlmaier von der AZ schreibt am ebenfalls am 5.Mai: „… Festivalmacher Gerd Huke, der weiter auf den Erziehungsprozess des Publikums vertraut. Mitten im Bildungsstau steckt da der Jazz, was man beim hinreißenden Pianisten Jacky Terrasson und Jimi-Hendrix-Zertrümmerer Nguyen Le durch verhaltenen Zuspruch spürte.“
In der „Blue Note Night“ im Zirkuszelt trat an diesem Abend auch Terence Blanchard mit seinem Septet auf. Auch nicht gerade ein No-Name. Für die, die diesen Konzertabend erlebt haben, war es ein wirkliches Highlight. In New Orleans 1962 geboren, begann Terence als Fünfjähriger mit Klavier, wechselte später unter dem Einfluss von Ellis Marsalis zur Trompete, spielte mit Wynton und Branford Marsalis bei Art Blakey. Sein zweiter Haupteinfluss war Miles Davis. Blanchard entwickelte seinen unnachahmlichen ganz besonders warmen und geschmeidigen Ton. Solch ein Doppelkonzert konnte man nicht in jedem Städtchen erleben und Gerd bedauerte sehr, dass dieser Abend nicht so gut besucht war, wie er erhofft hatte. Das Zirkuszelt war nur knapp zur Hälfte gefüllt. Vielleicht haftete dem Festival doch noch zu sehr das Dixie Geschmäckle an. Gerd hatte ja schon im Jahr zuvor dem Festival den Untertitel „Blues & Jazz Open“ gegeben, nicht ohne Grund. Dazu später mehr.
Damit könnte ich eigentlich die Würdigung des Jubiläumsjahres beenden. Aber ich werde noch einige Rosinen herauspicken.
Da wäre die Electric Blues Night mit Bugs Henderson (leider auch schon verstorben) und seinen Shuffle Kings sowie The Paladins feat. Charlie Musselwhite. Ein für mich einzigartig und beeindruckend die Acoustic Blues Night mit Eric Bibb & Band sowie Friend’n Fellow. Als Gerd mir von dieser Planung erzählte, war ich eher skeptisch, ob diese intensive, aber zarte und leise Musik im großen Zelt funktionieren würde. Wer diesen Abend erlebt hat, kann bestätigen, dass meine Bedenken vollkommen weggewischt wurden. Es war ein hervorragender und ganz bezaubernder Abend unter dem Sternenhimmel. Unvergessen, wie Constanze traumwandlerisch leise singend, ja beinahe nur ins Micro hauchend, durch die Mitte der Stuhlreihen zur Bühne ging. Man meinte sie würde schweben. Ihr musikalischer Partner Thomas Fellow begleitete sie einfühlsam in einem beinahe magischen Zusammenspiel. Verblüfft und gebannt verharrten die Zuschauer nahezu atemlos und mit der sprichwörtlichen Gänsehaut. Der Fall einer Nadel wäre laut gewesen. Um 23.00 musste die Musik enden; es gab eine Zugabe der beiden mitten unter den Zuhörern. Das war wieder einmal einer der Momente, die unser Festival ausmachten. Authentizität und Nähe. Über Eric Bibb habe ich schon im Rahmen der Jegelscheune begeistert geschrieben. Hier ein Zitat aus der NN/St, 1./2. Mai: „…ein sympathischer Musiker mit großer Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Ein sanfter Rebell, ein Kriegsgegner, der mit ausdrucksstarken eigenen Songs (…) (und) auch die ins Repertoire genommenen Titel von Musikerkollegen wie Taj Mahal mit „Needed Time“ (einfach nur schön…, Anm. d. V’in) oder Jimi Hendrix‘ „Angel“ auf sehr persönliche und individuelle Art interpretierte.
Im Jubiläumsjahr gab es einen fetzigen Abend mit „Tanz in den Mai“. „Sechs Musiker, sechs Instrumente, und ein Hauch von Karibik im Sternenzelt. Und was dabei rauskam, das konnte sich nicht nur hören lassensehen lassen, sondern das war spitzenmäßig arrangierter Tanz- und Chillout Sound in Weltklasseformat.“ Wer könnte das gewesen sein? Ganz klar: Peter Schneider mit seinen Stimulators. Es läuft parallel meine Lieblings CD von vielen „Voodoo Swing“. Jahrelang nicht gehört, unverändert gut und zum Tanzen animierend. Hier endlich mal eine kurze Würdigung der Musiker, die uns viele Jahre begleitet haben. Der Ton von Florian Sagner (trumpet,flugelhorn) so klar wie frisches Felswasser, stilsicher, geschmackvoll. Uli Lehmann, der Mann am Bass, virtuos und locker begleitend. Shuffle-Oscar Pöhnl, der unvergleichliche Drummer ruhig und unaufgeregt wie Charlie Watts im Hintergrund, unterstützt durch die grandiose Percussion von Hansi Mühlegg, die den Karibiksound zaubert. Oliver Stefan, begleitender Gitarrist und Sänger, mit auf Cuban-Music eingestellter Stimme wechselte sich an diesem Abend mit Sänger Ernesto „Ernstl“ Artilles ab. Und schließlich Peter Schneider: musikalisch ausgebildet in“ New York, Rio de Janeiro und New Orleans, ein Jahr auf Tour mit Ike Turner, sich stetig weiter entwickelnd, Strömungen aufnehmend und dennoch authentisch Peter Schneider zu bleiben, das zeichnet diesen grandiosen Gitarristen aus.
Johnny Ferreira & The Swing Machine profitierten von der Vorleistung der Stims und brachten nun das schon aufgekratzte begeisterte Publikum im vollen Sternenzelt zum Tanzen, das Zelt zum Kochen.
An das Konzert von Alvin Youngblood Hart erinnere ich mich nur punktuell. Ich bin erst nach Beginn des Konzerts am Zelt angekommen, ein Höllenlärm schallte mir entgegen, Zuschauer/innen strömten aus dem Zelt, z.T. kopfschüttelnd sich die Ohren zu haltend, manche schimpfend. Zu recht. „Eigentlich hatte ich ein Blues-Projekt gebucht“, erklärte Huke einem leicht irritierten Publikum im Sternenzelt, „aber Alvin Youngblood Hart hat sich offensichtlich entschlossen, Rockmusiker zu sein.“ „Der Musiker legte in klassischer Rockbesetzung einen Auftritt in Woodstock-Manier hin, Riff-betonter Bluesrock, sphärische Gitarrensounds, lustig stampfende Country-Nummern. (…) Erschwerend kam hinzu, dass die Band direkt von der Autobahn ohne Soundcheck auf die Bühne gestolpert war. Folge: Gitarren zu laut, Gesang zu leise, der Chef schlecht gelaunt.“NN-Feuilleton,5.5.03 Ich erinnere mich, dass er noch das Publikum verunglimpft hat. Auch nach einer Pause war er weder bereit von seinem Konzept noch von der Lautstärke abzuweichen. Gerd war stinksauer. Der Hintergrund: Youngblood war schon in der Jegelscheune mit großem Erfolg aufgetreten und Gerd buchte das Projekt für das nächste Festival. Aber der Musiker hielt sich nicht an die Absprache und betonte seine künstlerische Freiheit. So kam es wie es kam. Auch das war Festival.
„Da hatte Tino Gonzales, der kleine Mexikaner aus Südfrankreich anschließend leichtes Spiel. Der Wahl-Europäer reklamiert die Kompatibilität des Blues über alle Kulturkreise hinweg. Dazwischen wandert er als Gefühlsbotschafter durch die Reihen und wenn er unverstärkt ins Zelt röhrt, (…) hat das Durchschlagkraft.“ AZ, 5.5.03
Ich liebte Tino und seine Musik. Er rettete den Abend. Tino ging im Anschluss an das Desaster in seiner ruhigen und freundlichen Art auf die Bühne, sagte ein paar versöhnende Worte zum Publikum, „ein paar weniger freundliche über Mr. Bush, und schon hat der Sänger und Gitarrist sämtliche Herzen für sich eingenommen.“ NN, 5.Mai 03. So wurde der zweite Teil des Abends mit Harmonie (Tinos Lebensmotto und Titel eines Songs) eingeleitet und mit einer tollen Performance weitergeführt.
„Celebrating Hendrix“ von Nguyen Le am 30. April im Jugendtreff-Saal. Dazu drei Stimmen.
Nguyen Le, der Musiker: “Die Musik von Jimi Hendrix hat für mich etwas Brennendes in jeder Note. Es klingt ein wenig abgedroschen, wenn ich sage, dass alles von ihm wirkt, als spiele er es zum letzten Male. Trotzdem ist es genau diese direkte, eindringliche Emotion, die mich von Anfang an gepackt hat.“ Wen nicht, werden mir alle Hendrix-Fans zustimmen.
Stefan Mössler, NN,3./4. Mai 2003: „Es gibt schon manchmal seltsame Zufälle: Auf der Bühne der Rother Kulturfabrik versucht als „Nachschlag“ zu den Bluestagen das unsägliche Hendrix-Double Randy Hanson die Stücke des Meisters zu imitieren, und nur ein paar Kilometer weiter zeigt beim Wendelsteiner New Orleans Music Festival ein anderer Gitarrist, dass es durchaus möglich ist, die Musik des Rock-Mythos ohne Peinlichkeiten zu interpretieren. Der Franzose Nguyen Le wagt den musikalischen Diskurs, reißt die Songs aus ihrem historischen Kontext, zerlegt sie in ihre Einzelteile, um sie dann neu zusammenzusetzten. (…) Doch eins steht fest: An Respekt vor dem Original mangelt es nie.“ Genau so war es! Danke Stefan für diese profunden Zeilen!
Gerd Huke, Programmheft: „Ich fand als alter Hendrix Fan Le’s CD einfach wunderbar. Im November (des Vorjahres) fuhr ich (ich war auch dabei) extra aufs Festival von Schloss Elmau, um zu hören, ob Le’s Konzept auch live funktioniert. Und direkt nach diesem umfeierten Konzert musste ich ihn einfach für unser Festival buchen.“ Gut gemacht, Gerd!
“FLASHBACK“
„very private“
In Juli 2003 sind wir mal wieder umgezogen, innerhalb Wendelsteins, zurück mitten in den Altort. Wir haben dort unsere Wunschwohnungen gefunden, in denen wir eigentlich alt werden wollten. Nun wohnten wir nahe am Festivalgeschehen, zur Straßenparade 20 Schritte, in einige Lokalitäten wenige Minuten. Der Umzug fand allerdings während des bisher heißesten Sommers statt. Ich erinnere mich, dass ich während der Renovierungsphase fußläufig, möglichst an Wände gedrückt, Schatten suchend in die Marktstraße gelaufen bin.
Im Juli 2004 hatte ich meinen 50. Geburtstag. Ich habe jegliche Tätigkeit für diesen Tag abgegeben, wollte gefeiert werden und mit Freunden zusammen sein. Vereinbart war, dass ich in den Räumlichkeiten kurz vor Eintreffen der Gäste eintrudeln werde, Gerd war schon vor Ort. Als ich den Gang entlanglief, hörte ich schon die Rolling Stones, an der Tür angekommen, schaute ich auf eine Videoleinwand, auf der ein Livekonzert der Stones spielte. Mick Jagger tänzelte mir entgegen - Gerd strahlte über beide Ohren, dass ihm diese Überraschung gelungen war – was wollte ich als Fünfzigjährige mehr? Nichts. Ich hatte den Einladungen hinzugefügt, dass nur gegessen, getrunken, unterhalten und getanzt werden möge mit einem strikten Verbot irgendwelcher Reden oder Spiele. Hat geklappt. Am frühen Abend tauchte zur Überraschung eine Mini Brass Band mit Helmut Fischer (ehemals Opas Jazzband) auf. Ich fühlte mich geehrt und habe mich riesig gefreut. Der Clou aber war: Gerd hatte Peter Schneider & The Stimulators engagiert.
Es wurde ein Tanzabend mit Musik „vom Band“ und live im Wechsel. Zu ihrem Song „Caipirinha“ wurden unter Anleitung der damaligen Freundin von Peter Original „Caipis“ serviert. Ich weiß, sie schmeckten fantastisch, konnte aber vor lauter Aufregung nur einen Schluck trinken. Im August habe ich das Glas nachgeholt. Wir waren in Berlin um einige Musiker bei einem Open-Air-Bluesfest in einem historischen Rathaushof zu treffen und übernachteten zufällig in einem Hotel mit einer bekannten Cocktail-Bar. Ebenfalls um meinen runden Geburtstag herum waren wir in Nördlingen zu einem Konzert mit Hugo Strasser und seiner Hot Five. Beim Frühstück im Hotel gab er für mich ein musikalisches Ständchen. Mit dabei Freunde aus Wendelstein. Gerd ist wiedermal nicht auf den Fotos; er war der Fotograf.
Wer Gerd kannte, weiß oder ahnt, dass er nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen musste und so auch seinen eigenen Geburtstag nicht gern feierte. Seine Freude galt immer erstrangig meiner Freude. Dennoch kam er um Gratulationen nicht herum, da in jedem Jahr Christian Willisohn Ende Januar in der Jegelscheune spielte und manchmal passte das Datum. „Christian Willisohn spielte anlässlich Gerds Geburtstag, im Anschluss fand noch eine kleine Feier mit den Stammgästen statt. Hier verabschiedete man sich fast schon mit „Bis heute Abend“, denn bereits am nächsten Tag traten die fantastischen US Rails auf.“ Stammgast Jürgen Puchta Gerds 60. Geburtstag fiel auf einen Samstag und ich konnte ihn überreden zu feiern. Naheliegend, dass dies mit vielen befreundeten Musikern in der Jegelscheune stattfand, obwohl private Feiern dort nicht zugelassen waren. Aber vielleicht konnte man Gerd ein gewisses Hausrecht zugestehen. Ich muss aber „beichten“, dass ich meinen 40. ebenfalls dort (heimlich) gefeiert habe.
Zu meinem 60. waren wir schon in Nürnberg etabliert, mein Geburtstag fand im kleineren Freundeskreis auf der Dachterrasse des italienischen Restaurants Padelle statt. Ohne Musik, aber mit Erinnerung in meinerunverwüstlichen Jeansjacke mit Festival Sticker. Anbei ein Foto mit meiner liebsten Freundin.
Zurück zum Heute: Ich höre John Hiatt („Terms of My Surrender“ von 2014), einer meiner Lieblings Südstaaten Musiker, den ich 1988 oder ‘ 89 zum ersten Mal im Radio mit seinem grandiosen „Feels like rain“ gehört habe. Zu der Zeit war ich nochmal nach Hessen zurückgekehrt, habe in Offenbach a.M. gearbeitet und bin am Wochenende gependelt. Ich gehe mal davon aus, dass Gerd John Hiatt mit Sicherheit schon vor mir kannte. In jedem Fall hat er später vergeblich versucht ihn zum Festival zu holen. Ich weiß nicht, ob Hiatt überhaupt jemals in Deutschland oder Europa aufgetreten ist. Damals jedenfalls habe ich mir sofort die LP „Slow Turning“ gekauft. Auf der gleichnamigen CD von 1988 steht witziger Weise, dass man diese Scheibe doch bitte genauso pfleglich behandeln möge wie seine LPs zuvor. Markant und ergreifend von ihm „Have a little faith in me“. Ich bin gespannt auf die aktuelle CD aus 2021.
Meine Erinnerungen machen zwei weitere Sprünge in die frühen 80er: der erste hin zu Mitch Ryder, den wir damals im Rührersaal zum ersten Mal gesehen haben. Das Konzert war unerhört laut, all meine Sinne waren gestört. An Ohrenstöpsel hatte in jungen Jahren noch niemand gedacht. Leider konnte man an dem Abend kaum zwischen Stimme und Instrumenten differenzieren. So war Ryders Hit „Er ist nicht mein Präsident“ (Ronald Reagan) eigentlich kaum zu verstehen.
Der zweite Sprung geht ins Jahr 1984. Im „Gärtla“ am Dutzendteich hörten wir Klaus Brandl und Chris Schmitt. Ganz spontan engagierte ich die beiden zu meinem bevorstehenden 30. Geburtstag. Wir waren gerade nach Wendelstein in ein historisches „Amtmann-Haus“ mitten im Altort gezogen. Der Hof war ideal zum Feiern mit Livemusik. Im Rückblick wirkt es so, als wäre das unsere musikalische Ankunft in Wendelsein gewesen. Zum Schrecken der Nachbarn war es das wahrscheinlich.
2004
Beim ersten Durchblättern des Programmheftes hatte ich den Eindruck als ob ich im 11. Jahr nicht dabei gewesen wäre. Ich konnte mich an kaum ein Konzert erinnern, schon gar nicht an ein besonders einprägendes Ereignis, wie es sonst sofort der Fall war. Ich denke, es muss so gewesen sein, dass ich mehr unterwegs als wirklich bei einem Konzert länger anwesend war. Oder war das Programm etwa so, dass es mich nicht so sehr fasziniert hat? Das wäre den auftretenden Musikern gegenüber ungerecht.
Schließlich trat u.a. Chris Jagger zum ersten Mal auf. Als Gerd mir von diesem Coup erzählte, sagte ich nur, naja, wenn‘s nicht der Bruder sein kann… Allerdings stellte sich Chris als hervorragender Musiker heraus, der daraufhin mehrmals in Wendelstein in unterschiedlichen Formationen auftrat und zu einer Art Freund wurde. Nur auf Mick sollte man ihn besser nicht ansprechen. Dennoch plauderte er mit uns aus dem familiären Nähkästchen. Das bleibt allerdings geschlossen. SPARK in der AZ vom 3.5.04.: „…gab es eine Reihe Klassekonzerte. Chris Jagger etwa, Bruder von Rolling Stone Mick, überzeugte mit seinem englischen Country-Zydeco-Stil auf ganzer Linie im vollgepfropften Jugendtreff“.
Allerdings kamen mir beim Lesen der Zeitungsartikel doch einige Auftritte wieder vor Augen. Z.B. Rebekka Bakken barfuß auf der Bühne. Über diesen neuen Stern am Jazzhimmel überschlug sich die internationale Presse förmlich: Elfengleich, Gesangsirene, Schöne der Nacht, größte Entdeckung, Stimmwunder aus Norwegen, das Sinnlichste was weiblicher Jazz zu bieten hat, bis unter die Haarspitzen erotische Frau, Engel aus dem Eis. Gerd zitierte diese Lobeshymnen in seiner Ankündigung und schloss lapidar mit „freuen Sie sich auf einen tollen Abend mit einer interessanten Frau“. Die Kritiken nach dem Konzert in Wendelstein waren nicht allzu überragend, abgesehen von den Bemerkungen über ihr Aussehen. Ganz anders wurde der echte Star dieses Doppelkonzerts hochgelobt: Jacky Terrasson. „Weltklasse“, so in der NZ im Feuilleton vom 27.4.2004, „bietet dagegen Jacky Terrasson“. Was folgt ist ein einziger Begeisterungssturm getragen von explizierter Kenntnis des Musikgenres. Sehr viele Berichte zum Festival 2004 befassen sich mit diesen beiden Acts. Ein Interview mit Bakken erschien in der AZ, 22.4.2004, SPARK, ein Interview mit Terrasson am 21.42004 in der NN von Anja Barckhausen.
Umjubelt und von der Presse gleichermaßen übermäßig beachtet wurde der Auftritt vom „Urgestein der britischen Blues-Rockgeschichte Steve Gibbons“. „Noch ein Geheimtipp. Mit denen erlebt man in Wendelstein seine Überraschungen: Steve Gibbons hinterließ eine Leuchtspur im Sternenzelt (…) und seiner britischen Prachtband. Die reinste Vitaminstoßlegende“. AZ, Titelseite und innen, 29.4.04 In Vorabberichten der regionalen Zeitungen war fast immer ein Foto von Steve Gibbons abgedruckt. „…musikalische Sternstunde (…) Steve Gibbons ist in begnadeter Sänger und Geschichtenerzähler. Das beweist er auch nach dem Konzert bei einer spontanen Blues-Session (…) Da spielten die Musiker der „Blues Company“ (erste Band am Abend, Anm. d. V’in) und der „Steve Gibbons Band“ aus purem Vergnügen miteinander…“
„Der mexikanische Blues-Präsident Tino Gonzales spielte am Abend seines 54. Geburtstages nach der noch zerfaserten Mittwochsshow samt E-Gitarre dann zu guter Letzt doch noch ein feines Akustikkonzert mit fabelhafter Bigband. Auf sanften Soulsohlen eroberte der kleine, redefreudige Ex-Earth, Wind & Fire-Gitarrist sein Publikum im randvollen Sternenzelt“. Jazzzeitung, Juni 2004 An Tino schieden sich die Kritiker. Es stimmt, er redete auch nach meinem Geschmack zu viel; ich mag es, wenn die Show „durchgezogen wird“. Tino trat auch beim zeitgleich stattfindenden Bluesfest in Ingolstadt auf. Im Donaukurier vom 31.4. schrieb Karl Leitner einen ganzen Artikel voller überschwänglicher Begeisterung zu Tinos Konzert. “Musik wie im Rausch, atemberaubend“ und endet mit „darf man angesichts dieser Wahnsinnstruppe nach knapp der Hälfte des Festivals aber schon von einem Highlight des Jahres 2004 sprechen? Man muss!“ Ich würde am liebsten den ganzen Artikel zitieren, aber diese zwei Aussagen treffen den Kern der Kritik. Ganz anders Hans von Draminski im NN-Feuilleton: „ Andere schienen im Vorfeld eher überschätzt worden zu sein, wie Tino Gonzales: Der virtuose amerikanische Gitarrist und Sänger mit lateinamerikanischen Wurzeln verfügt zwar über gleich zwei ausgezeichnete Begleitbands, versteht es auch bühnenwirksame Auftritte inklusive „Bad in der Menge“ hinzulegen, enttäuscht aber mit ziemlich gleichförmigen Songs, die sich viel zu sehr ähneln, um über eine ganze Konzertdistanz zu tragen und dauerhaften Eindruck zu hinterlassen.“ Hans, ein von mir geschätzter Kritiker, schreibt weiter: „Das schaffen die beiden letzten Gruppen im „Sternenzelt“ dafür ganz locker.
Das englische „Pasadena Roof Orchestra“ und die lebende Swing-Legende Hugo Strasser mit den „Hot Five“ zündeten zwei musikalische Brillantfeuerwerke und bedienten sich dabei ausschließlich Raketen des traditionellen Jazz und Krachern aus dem Oldtime-Repertoire. Was selbst dann nicht langweilig wurde, wenn sich diese Programme überschnitten und dieselben Standards …in den Mittelpunkt stellten. Können und Charisma sind eben doch wichtiger als die Jagd nach dem neuesten Hit.“ Respekt vor dieser fundierten Kritik, die nicht vom persönlichen Geschmack diktiert ist, sondern von grundlegendem Musikverständnis, das nicht zwischen Blues- und Jazzgenre unterscheidet, sondern das Augenmerk auf die musikalische Qualität legt. Wobei ich ganz sicher Tinos Band nicht deren Qualität absprechen möchte. Zum Abschluss nochmals die Jazzzeitung vom Juni 2004, in der ein „glücklich erschöpfter Gerd Huke“ zitiert wird. „Extra für Tino ist Hank Roberts für dieses eine Konzert aus New York eingeflogen“. Der Auftritt von Tino Gonzales war mein ganz persönliches Highlight.“ Ein extra Einfliegen bürgt selbstverständlich nicht für einen guten Musiker, doch Tino wollte für das New Orleans Festival die bestmöglichen Musiker haben. Das ist ihm in jedem Fall gelungen.
»BACKSTAGE«
„unsere Jungs“
Wie im backstage „Mitarbeiterinnen“ schon beschrieben, waren Helfer von außerhalb des Kulturreferats nicht mehr zu entbehren.
Ab dem 3. Festival rekrutierte Gerd engagierte junge Leute aus dem Jugendtreff. Diesen Jugendtreff hatte Gerd in den 80er Jahren initiiert und mit aufgebaut. Er wurde zunächst von Richard, der leider sehr früh verstorben ist, geleitet und zusammen mit einigen interessierten Jugendlichen mit Inhalten gefüllt. Zur ersten Crew, die später maßgeblich bei den Sessions im Jugendtreff verantwortlich war, gehörten nach meiner Erinnerung Matthias, Ellen, Sarah, Jan, Doro.
Alle Helfer während der gesamten Festivaljahre waren mit einer einzigen Ausnahme in einem Jahr nur junge Männer, die zunächst ehrenamtlich mitarbeiteten. Ich erinnere mich an Sascha, der 16 oder 17jährig begonnen hat und bis zum letzten Festival dabei war. Sein erster Auftrag war, vor der Apotheke am Marktplatz die Parkplätze von Sonntagfrüh bis zum Eintreffen der provisorischen Bühne freizuhalten. Sein letzter Job war „Stagemanager“ in der jeweiligen Veranstaltungshalle. Er hatte im Laufe der Jahre Erfahrung gesammelt und kannte sich als Schlagzeuger und Bandleader mit Bühnentechnik aus.
Dabei war auch „Otsch“, der in Sachas Band Bass spielte und noch immer als Musiker auf der Bühne steht, wie im Sommer 2021 in einem Artikel über ihn in der NN berichtet wurde.
Simon war von 1996 bis 2012 zuverlässig an unserer Seite. Zu ihm habe ich heute noch freundschaftlichen Kontakt. Neben Simon an der Tür stand lange Zeit Peter Albert, der im Jugendtreff handwerklich gearbeitet hat. Beide groß, kräftig, ruhig, freundlich und besonnen - die perfekten Eigenschaften um den Einlass zu regeln. Später wurde Peter von seinem Sohn Jakob abgelöst, der die gleichen perfekten Eigenschaften für den Einlass mitbrachte.
Dann war da noch Armin, auch einer der ersten und langjährigen Helfer. Er war u.a. bei den Straßenparaden dabei, um Gerd zu unterstützen. Es gab immer irgendwas zu erledigen, z.B. Getränke für die Musiker organisieren, kurze Fahrdienste. Das Foto zeigt den Auftakt der Straßenparade mit der Ambrosia Brass Band und uns bei dem Versuch, fürs Foto mit Tanzschritten zu posieren.
So wie alle flexibel einsetzbar waren, hatte auch Andre H., ebenso einer der „alten Hasen“, im Laufe der Jahre unterschiedliche Jobs. Zunächst hatte er im Gasthaus Brunner „Dienst“, wo er wegen seiner ruhigen besonnenen Art sehr geschätzt wurde. Witzig war, dass Andre von Besuchern für unseren Sohn gehalten wurde. Vielleicht sprachen wir daher später von unseren Helfern als „unsere Jungs“.
Als die „Jungs“ älter wurden und ihre Ausbildung beendeten, studierten oder gar Familie gründeten und ausstiegen, empfahlen sie Gerd jemanden aus ihrer Verwandtschaft oder ihrem Freundeskreis. Zur Einarbeitung wurden Neulinge in der Regel schon vor der selbstständigen Tätigkeit von ihrem „Mentor“ eingearbeitet, so dass sich stets ein reibungsloser Übergang ergab. Reiner, einer der Ältesten, brachte z.B. seine beiden Cousins Andre A. und Christoph A. mit in die Gruppe. Beide waren bis zum letzten Konzert enthusiastisch und zuverlässig dabei. Simon holte seinen jüngeren Bruder „Petzi“ Patrick ins Team, auch „Dr. Petz“ genannt (warum auch immer). Auch er blieb bis zum Schluss dabei. Dann waren da noch Frank, Ferdinand, Michi, später Sebastian, Andreas und Tim. Ich hoffe, niemanden vergessen zu haben. Gerd wüsste mit Sicherheit noch jeden einzelnen Namen.
Wichtig für die Mitarbeit war, dass jeder Verantwortung übernehmen wollte und konnte und in der Lage war, unterschiedliche Situationen einzuschätzen um entsprechend reagieren zu können. In den letzten zehn Jahren hatten wir ein gut eingespieltes, selbstständig arbeitendes Team. Die Jungs, die in der Halle beim Bühnenaufbau halfen, arbeiten schnell gänzlich selbständig. Die, die in den Kneipen als Helfer bereitstanden, lernten, was dort zu tun war, konnten ebenfalls Entscheidungen treffen oder für Hilfe sorgen. Neben der oft hektischen und konzentrierten Arbeit herrschte dennoch eine gute Stimmung, ja, sogar ausgelassen, wenn der Ablaufplan und die Zeit es zuließen. Der Job jedoch durfte niemals vernachlässigt werden. In diesem Punkt war Gerd ein strenger Chef. Wie auch schon im Kapitel der Jegelscheune erwähnt, war sein oberstes Gebot die absolute Pünktlichkeit. Ich war da nicht ausgenommen. Nur allzu verständlich, schaut man sich manche Tage eines Festivals an. Ich denke, eine gute Basis für die vertrauensvolle Zusammenarbeit des Teams war Gerds Umgang mit jedem Einzelnen. Er gab ihnen Verantwortung für ihre Bereiche, sobald er die Sicherheit hatte, sich auf sie verlassen zu können. Unser Verhältnis zu den Jungs war geprägt von sachbezogener Autorität und herzlichem Umgang. Jedes Jahr kurz vor Festivalbeginn trafen wir uns zu einem Vorgespräch um Abläufe und Einsätze zu besprechen. In den Mitarbeiterhandbüchern waren alle Daten für die Shows aufgeführt. Zu den genauen Uhrzeiten wurde eingetragen, wer wann wo sein musste und was er zu tun hatte. Dieses Treffen fand im nüchternen Rahmen des Rathauses statt, mit Wasser und Cola. Nach vielen Festivals wurde das Team von Herrn Oskar Schlag zu einem tollen Abendessen ins Arvena Restaurant eingeladen. Er wollte damit seinen großen Respekt für Gerds Arbeit zeigen und die Leistung des Teams würdigen. Diese genussvolle Art des Sponserns nahmen wir gern an.
Foto vom Arvena Abend
2005
Das Sternenzelt wurde weiterhin sehr gut angenommen. Allerdings hatten wir in diesem Jahr mal wieder eine Zweiteilung des Wetters. In der ersten Hälfte herrschte große Hitze, so dass die Zeltplanen weit geöffnet werden mussten, in der zweiten Hälfte war es sehr kalt und regnerisch-stürmisch. Das Publikum war infolgedessen zukünftig eher vorsichtig mit dem frühen Kartenkauf.
In Doppelkonzerten traten auf: Barrelhouse Jazzband – Trevor Richards mit seiner British New Orleans Allstars, Steve Gibbons Band - Spencer Davis Group, John Hammond - California Blues Dream Team, Memo Gonzales – Larry Garner Louisiana Blues Band.
Duke Robillard - Neal Black & Leadfoot Rivet: Neal und Leadfoot waren in 2005 zum ersten Mal in Wendelstein. Beide engagierte Gerd in den nächsten Jahren in verschiedenen Formationen. Neal Black, wie unsere Stammgäste wissen, trat so ziemlich jährlich bei uns auf. Er wurde zu einem liebenswerten und großartigen Freund, mit ihm habe ich heute noch Kontakt. Dazu später mehr. Robillard brachte den in den USA bekannten Gitarristen und Sänger Bryan Lee mit.
Max Greger jr – Hugo Strasser: „Hugo Strasser begeisterte nicht nur als stürmisch gefeierter Klarinettist (…) Beinahe wäre er ins Politisieren gekommen, als er von der Zeit erzählte, als der Swing in Deutschland verboten war („Wir müssen Obacht geben, dass so eine Zeit nicht wiederkommt“). Und richtig aufregen kann er sich über den musikalischen Einheitsbrei der Rundfunkanstalten: „da kriegen Sie das kalte Grausen“. ST, 9.5.05
Die Spider Murphy Gang ist nun nicht gerade eine Blues- oder Jazzband. Es ließe sich noch immer trefflich darüber streiten, ob diese Band in ein New Orleans Festival passt. Gerd wusste es zu begründen. Den Kontakt bekam er über Ludwig Seuss, der ja nicht nur als Blues & Boogie Pianist seiner eigenen Band bekannt war, sondern eben auch als der Pianist der Spiders. Wie auch immer die Auffassung darüber war, das Zelt war mit über 800 Zuschauern rappelvoll und es herrschte eine super Stimmung. Das Konzert hat großen Spaß gemacht. „Draußen schien die Welt mit Sturm und Regenschauern unterzugehen, drinnen rockten die Jungs von Spider Murphy Gang, dass es krachte. (…) Back to the roots: Die Spiders auf der Suche nach ihren musikalischen Wurzeln. Von Hank Williams über die Bluesuade Shoes von Carl Perkins bis hin zu Rock’n Roll Music des Chuck Berry. (…) Danach packten sie ihre Hits aus.“ ST, 5.5.05
Am Freitag, den 6. Mai trat der großartige Willi Resetarits (Ostbahnkurti, Dr. Kurt Ostbahn) mit der Extra Combo und seinem „Stub’n Blues“ sowie einem Van Morrison Programm auf. Zum Weinen schön… Es war ein theatermäßig durchgeplanter Bühnenauftritt. Willi brauchte einen Stuhl, einen kleinen Tisch mit karierter Decke und einem ganz bestimmten Rotwein. Diese Extrawünsche der Musiker nahm Gerd sehr ernst, auch wenn manch einer von der Gemeinde meinte, das wären zu exaltierte Sonderwünsche. Wie auch immer, es war ein toller Abend mit tollen Musikern. Willi Resetarits, sehr charmant sowohl auf als auch hinter der Bühne, bot Melancholisches, Sarkastisches und feinen Humor. Die zweite Stimme wurde von „dem jungen Herrn Schubert“ übernommen. Mit ihm und Peter Angerer hielten wir noch „privaten“ Kontakt. PS: Der Bruder von Willi Resetarits ist der Schauspieler und Kabarettist Lukas Resetarits, der ein paar Jahre den Kommissar in der amüsanten 80er Jahre Krimi-Serie „Kottan ermittelt“ gespielt hat. Auch ihn lernten wir später in Wien kennen.
“FLASHBACK“
Kurzer Nachruf zum Tod von Willi Resetarits
Willi Resetarits ist tot. Er wurde auch nur 73 Jahre alt.
Ich bin erschüttert und traurig, erinnere mich aber freudig an die fabelhaften und umjubelten Konzerte in Wendelstein im Sternenzelt.
Wie ich auf meiner homepage schon beschrieben habe, hat mich seine Musik besonders tief berührt. Ich habe Willi Resetarits als einen sensiblen, feinfühligen Menschen und begnadeten Musiker kennengelernt.
Und wieder stelle ich mir, ganz kindlich, ein erneutes Zusammentreffen all der Verstorbenen im Blues-Himmel vor. Die Sessions werden dort leider immer wieder verstärkt. Will wird eine Bereicherung sein.
Gabriele Huke, 26. April 2022
Das Zelt beim FV war Geschichte. Es gab einen neuen zweiten Spieleort: Das Löhlein’s beim Mercedes Autohaus in Röthenbach. Fam. Von der Hellen-Löhlein wollte die neue Halle auch als Eventhalle nutzen, die eine optimale Größe mit angenehmer Atmosphäre bot. Gerd wurde eingebunden und so gab es dort 2005 zum ersten Mal eine Auswahl verschiedener Musikstile. U.a. spielten dort Helt Oncale & His Louisiana Band, The Jackson Singers und Peter Schneider & The Stimulators.
Besonders nachhaltig aber blieb mir der Auftritt von Boney Fields in Erinnerung (mehr dazu in einem backstage). Sein „Bone‘s Project“ beschrieb Gerd als „Live-Act der Extraklasse“. Der Blues / Funk Trompeter und Sänger begann seine Karriere bei Earth, Wind & Fire und James Brown, spielte bei Maceo Parker, Buddy Guy und v.a. Fields verfügt über eine unerschöpfliche Energie, ein musikalischer Vulkan.
Für die Jegelscheune hatte Gerd wie immer für ein kleines feines Programm gesorgt, wie z.B. mit Geoff Muldauer und seinem leisen Blues. Ian Siegel gehörte zu den von Hans Draminski oft zitierten Geheimtipps, die man in Wendelstein erleben konnte. Der Saxophonist Fuasi Abdul-Khaliq wollte eigentlich bei den LA Symphonikern als Musiker anfangen, wurde aber in dem ausschließlich weißen Orchester nicht angenommen. So wandte er sich sehr erfolgreich, wie wir hören konnten, dem Jazz Genre zu. Ein musikalischer Leckerbissen war in jedem Fall ‚Sir‘ Oliver Mally’s Acoustic Project. Olivers Stimme und Gitarre, Violine und Accordeon. Außergewöhnlich für Blues und einfach grandios. Ernie Payne widmete SPARK in der AZ vom 4.5.05 einen eigenen Artikel. „Einen Monat ehe der in Texas aufgewachsene Feintöner auf Einladung von Ex-Led Zeppelin-Sänger Robert Plant dessen neue Band auf dem Isle of Man-Festival unterstützt, spielt Ernie Payne heute (…) in der Jegelscheune sein vorerst einziges Solo-Konzert in Deutschland. Payne spielt gleichermaßen virtuos akustische Gitarren und Dobro – aber insbesondere diese Stimme ist es, die unter die Haut geht.“ Im groß angelegten Artikel der Jazz-Zeitung aus 9/05 schreibt Reinhold Horn (damals auch Journalist der AZ): „ Mit Payne hat Wendelstein zweifelsohne einen Blues-Goldfisch aus den Sümpfen Louisiana geangelt.“ Er beschreibt weiter Paynes Jugend mit Straßenkämpfen in der „Coercion Street“ (Titelsong der auch gleichnamigen CD). Am Ende dieses Songs heißt es „Jeder wird geprägt durch seine Taten – und am Ende überlebte ich Coercion Street.“ Authentischer kann Blues nicht sein.
Szenen-Wechsel: In den Gaststätten gab es ja jedes Jahr ein großes Aufgebot unterschiedlicher Musikrichtungen. Unter den vielen regionalen Gruppen fanden sich überwiegend Dixiebands, die ich bisher gar nicht erwähnt habe. Das möchte ich hier nachholen. In diesem Jahr waren dabei: New Orleans Rhythm Boys + One, ein kleiner Ableger der Rhythm Brass Band, Old Stars Bayreuth, Old Riverhouse Jazzband, Hot House Hooters, Collegium Dixicum, Franconian Jazzband, New Richie’s Dixieband, Fränkisches Dixieland Quartett + Washboard, Nürnberger Swingquartett, Opa’s Jazzband und Boom & The Ballroomshakers, die zweimal für das „Swing Ding mit dem Jive Drive“ sorgten.
PS: eine Vielzahl an überregionalen Medien interessierte sich mittlerweile für unser Festival. Es wurden zahlreiche Interviews und Berichte im Hörfunk und Fernsehen gesendet. Radio Aladin brachte wieder eine Sondersendung mit Gerd und der Festival Musik. Journalisten aus mehreren europäischen Ländern waren akkreditiert, das Magazin BluesNews schickte für fünf Tage eine Journalistin. Die Präsidentin von EUROBLUES, der europäischen Blues Assoziation, Francoise Bennoiste, kam für einen Abend aus Paris nach Wendelstein.
September 2005
Im Sommer 2005 fegte KATRINA über New Orleans und zerstörte die Stadt zum größten Teil. Die meisten Bewohner verloren alles, verließen die Stadt und viele kehrten nicht zurück. New Orleans war nicht mehr das, was es einmal war. Und aus Sicht amerikanischer Politik wohl auch nicht mehr sein sollte. Den Ärmsten fehlte das Geld für einen Wiederaufbau.
Gerd stand mit Musikern aus New Orleans in Kontakt, soweit möglich. Viele fanden irgendwo Unterschlupf, konnten ihr Leben retten, aber oft nicht mehr, manche nicht mal ihre Instrumente. Die Flut hat das Haus von Trevor Richards, der im Mai noch in Wendelsein gastierte, mitsamt wertvoller Schlagzeuge und einer einzigartigen Musikbibliothek zerstört. Er hatte eine Sammlung mit rund 5000 Schellack-Schallplatten aus den 20er und 30er Jahren. Alles unwiederbringlich weg. Gerd wollte mit einem Spendenaufruf Musiker der Stadt unterstützen. Lilian Boutté, die musikalische Botschafterin des Big Easy, richtete zusammen mit den Festivalmachern in Gronau ein Spendenkonto HELP NEW ORLEANS ein, von dem alle Gelder ohne jeglichen Abzug direkt und persönlich an betroffene Künstler gingen. In Kempten, das ebenfalls ein jährliches Festival im Mai veranstaltete, gaben Lilian und der Pianist Christian Willisohn ein Konzert unter dem Titel „Künstler helfen Künstlern“. So entschied Gerd sehr schnell, dass in Wendelstein ebenfalls ein Benefizkonzert stattfinden sollte. Ort der Austragung am 12. September war die Eventhalle „im Löhlein’s“, die von der Familie von der Hellen-Löhlein kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Ebenfalls kostenlos stellte die Firma PAVE Beschallung und Beleuchtung samt Techniker zur Verfügung. „Vier Stunden dauerte das eindrucksvolle Programm der Künstler, die alle auf ihre Gage verzichteten. Neben dem Wendelsteiner Original Klaus Schamberger trat die Swing- und Jive-Combo Boom & the Ballroomshakers und die traditionelle Jazzband Hot House Hooters auf. Als Überraschungsgast begrüßte Gerd Huke die New Orleans Rhythm Brass Band!“ NZ,ST, 17.9.05 Alle Beteiligten sagten auf Gerds Anfrage sofort und ohne Umschweife zu. Mit einer Aufrundung durch die Gemeinde konnten 5000 € überwiesen werden. Auch gespendete Instrumente fanden ihren Weg direkt nach New Orleans.
2006
Im Programmheft von 2006 erinnert Gerd nochmals an KATRINA und bittet um Spenden auf das Konto von „Help New Orleans“: „Aus den Augen, aus dem Sinn? (…) Dabei haben über 95% der Musiker in New Orleans alles verloren, Häuser, Wohnungen, Proberäume und Auftrittsmöglichkeiten. Viele Musiker haben nicht mal ihre Instrumente retten können, womit sie den Lebensunterhalt für ihre Familie verdient haben. Da ist direkte Hilfe gefragt. Noch heute ist der größte Teil von New Orleans eine Geisterstadt. (…) Künstler und Künstlerinnen aus New Orleans haben uns im Laufe der Jahre bei ihren Konzerten beim Festival oder in der Jegelscheune herausragende Augenblicke geschenkt und unser Leben bereichert – jetzt können wir etwas zurückgeben und uns damit für viele Glücksmomente bedanken.“ Marva Wright, die ebenfalls ihr Hab und Gut durch Katrina verlor, aber ihr Leben retten konnte, bedankte sich bei ihrem Konzert für die Hilfen für ihre Heimatstadt. Lilian Boutté, die offizielle Musik-Botschafterin tat es ihr gleich und betonte dazu, dass all die Musiker, die in diesem Jahr auftreten können, froh sind über die Buchung. Auch sie musste sich einen anderen Wohnort suchen.
Mit Coco Robicheaux präsentierte Gerd einen eigenwilligen und extravaganten Musiker als Vertreter des ursprünglichsten Louisiana. Musik wie direkt aus den Swamps. Der Medicine Man & Voodoomaster Robicheaux kam nicht bei allen Hörern gut an. Ein Pressevertreter zeigte sich nahezu entsetzt und schrieb in seiner Kritik von Gejammer und Gekrächze. Irgendwie sträube ich mich, die gesamte Kritik zu zitieren, hier nur der letzte Satz: „Der Paradiesvogel macht Nischenmusik, die im Sternenzelt nichts zu suchen hat.“ NZ,St, 3.Mai 2006 Eine kategorische Aussage, die ich recht dreist finde. Einem Veranstalter vorschreiben zu wollen, welcher Künstler in welche Location gehört, ist sehr merkwürdig. Und ja, Nischenmusik ist für Neugierige, die sich einlassen wollen und können.
Gerd wollte eben gerade auch Unbekanntes bieten, so dass gelegentlich Musik stattfand, die durchaus gewöhnungsbedürftig sein durfte. Nun ja, kein Veranstalter kann es jedem recht machen. Aber nur alte Hörgewohnheiten zu befriedigen und Mainstream zu bieten, kann auch nicht die Lösung für ein gutes Festival sein. Ein anderer Journalist schrieb hingegen: „Nicht nur äußerlich sträubt sich Coco Robicheaux, der Louisiana Medicine Man aus New Orleans, halb Choctaw, halb Cajun, gegen die liebgewonnenen Klischees des Genres. (…) Coco gibt mit seiner Nylon-Saiten-Gitarre einen drängenden, dunkel rollenden Beat vor, raunzt, fleht und heult mit durchlöcherter Roststimme die ölige Nacht an, bittet um Gnade für den gehetzten Gesetzesbrecher und beklagt die Arbeit des Teufels, die in Form von „Katrina“ über seine Heimat hereingebrochen ist. (…der) unglaubliche Pedal-Steel-Spieler Dave Easley, ein zauseliger, schratiger Hexenmeister seines Instruments, heizt die brodelnde Stimmung mit furiosen Soli bis zum Siedepunkt auf. Das zu erleben, ist einfach atemberaubend!“ Waren die beiden in unterschiedlichen Konzerten oder haperte es bei dem einen am grundlegenden Musikverständnis und Offenheit?
Schade, dass Gerd nie die Mardi Gras Indians oder „Wild Indians“ nach Wendelstein holen konnte. Wir haben sie in Ascona gesehen, es war eine irre und aufgemotzte Show mit bunten Kostümen und viel Putz, wie unten rechts zu sehen.
Statt des angekündigten Nicholas Payton, der erst am 2. April seine Tour abgesagt hatte, engagierte Gerd kurzfristig den kubanischen Star-Trompeter. Peter Gruner in der NN, Feuilleton, 4. Mai 2006: „Arturo Sandoval, Gründungsmitglied der stilbildenden Latinjazzband „Irakere“, ist seit über drei Jahrzehnten einer der ganz Großen seines Fachs. (…) wandelt mit furioser Hochgeschwindigkeitssoli in den höchsten Registern auf den Spuren von Dizzy Gillespie, brilliert am Klavier als Balladeninterpret, imitiert mit seiner Stimme alles vom Kontrabass bis zum Handy-Klingelton und spielt in einem rasanten Schlagabtausch seinen Saxophonisten an die Wand.“ Das ist fundierte Musikkritik. Weiterhin bescheinigt er der siebenköpfigen Band von Mighty Sam McClain, dem er große Glaubwürdigkeit seiner Botschaften zu recht unterstellt, dass sie zum Feinsten auf ihrem Gebiet (des Down-Home und Sledge-Hammer Blues) gehört. Schade, dass das Zelt nur halb gefüllt war (ca. 400), es lag aber nicht am Programm, wie er weiterschreibt, „denn wie immer setzt Festivalmacher Gerd Huke auf Qualität und Vielseitigkeit.“ Der Artikel endet in Bezug auf einen Song mit den anerkennenden Worten „Was wir brauchen, bekamen wir an diesem Abend im Übermaß.“
„Mit Charlie Musselwhite kommt einer der ganz Großen weißen Blues-Musiker auf dem Zenit seiner Karriere nach Wendelstein.“ So SPARK in der AZ vom 3.5.06 in seinem umfangreichen Artikel zum einzigen Konzert in Deutschland. Musselwhite äußert sich erstmalig politisch zu seinem Heimatland, die USA. „Ich erkenne Amerika nicht wieder, ich bin sehr beunruhigt deswegen, sehr wütend, wenn ich sehe, wie gerade arme Leute in Amerika behandelt werden. New Orleans ist ein gutes Beispiel dafür, was derzeit in Amerika vorgeht. (…) aber das Leben dieser Leute, die ihre Wohnungen in diesen überfluteten Vierteln verloren haben, war und ist dieser Regierung egal.“ Mit seinen Songs „Black Water“ und „The Invisible Ones“ auf der CD „Delta Hardware“ will er Aufmerksamkeit für die Vernachlässigten herstellen. Wen er damit kritisieren ist klar: George Bush und seine Regierung. „Sie nennen sich religiös, behaupten, Gott wäre auf ihrer Seite und geben vor, Republikaner zu sein, aber die fakten sprechen eine andere Sprache. Denn sie kümmern sich nur darum, dass reiche Leute noch reicher werden. Die armen Leute sind es ihnen nicht wert, dass man Zeit für sie aufwendet, Geld für sie aufbringt, dass man ihnen hilft.“ Musselwhite erzählt aber auch von sich und seiner Alkoholsucht. Um Dämonen geht es in dem dunklen Song von Towns van Zandt geschriebenen „Snake Song“. „(…) und obwohl ich schon lange Jahre trocken bin, fühlt sich dieser Zustand immer noch brandneu und ungewohnt an.“ Ich meine, es schon in einem Kapitel der Jegelscheune erwähnt zu haben.
Musselwhite hatte stets seine Frau Henri dabei, wie auch John Hammonds immer dabei war. Äußerst nette sympathische Menschen, über dessen Bekanntschaft wir uns nur freuen konnten und Gespräche mit ihnen eine der vielen Bereicherungen am Rande des Musikgeschehens waren. Hier abgebildet das rückseitige CD Cover seines Solo-Projects mit wunderbaren Songs.
Die Vielseitigkeit gepaart mit Qualität, die oben erwähnt wurde, war auch in Zeitungsberichten bezogen auf die Kneipenprogramme immer wieder das Thema. Besonders in der Jegelscheune fand ein abwechslungsreiches, niveauvolles Programm statt. Besonderes Augenmerk lag in diesem Jahr auf die Berliner Band „Jazz Indeed“ mit ihrem Großstadtjazz. Sie nahmen Lieder der Neuen Deutschen Welle aus den 80ern als Grundlage ihres ganz eigene Gesangs- und Musikstil. Michaela Rabitsch, Sängerin und Trompeterin mit dem Gitarristen Robert Pawlik hingegen servierten „Popjazz mit Groove auf leichtfüßig swingende Art“. „Sir“ Oliver Mally begeisterte mit seinem ungewöhnlichen Acoustic Project. Diese unübliche Zusammensetzung aus akustischer Blues-Gitarre mit Violine (Bernie Mallinger) und Akkordeon (Klaus Paier) erzeugt in dem feinnervigen Zusammenspiel der drei Ausnahmemusiker ein großes Gefühl für Stimmung und Atmosphäre.
Ganz besonders große Resonanz fand in diesem Jahr der Auftritt von Chris Jagger mit seiner Band „Atcha!“ In einem Interview erzählte er sogar von seinem Bruder Mick, das hat eher Seltenheitswert und er tut das nur, wenn er nicht aufdringlich gefragt, verglichen und auf die Familiengeschichte reduziert wird. Chris will an seiner eigenen Musik gemessen werden. Er und seine hervorragenden Mitmusiker brachten das Zelt zum Brodeln, nachdem Ludwig Seuss mit seiner Blues&Boogie&Zydeco Band den Tanz in den Mai schon als Party eingeläutet hatte. In Wendelstein immer wieder gern gesehene Musiker auf den verschiedensten Bühnen. Der letzte Abend wurde wieder von der anderen Münchner Band bespielt. Gerd schreibt: „Wir freuen uns, dass wir Ihnen diese Band wieder im stilvollen „Löhlein’s“ präsentieren und damit einen wundervollen Abschluss des Festivals bieten können.“ Und das schrieb die Süddeutsche Zeitung zu Peter Schneider& The Stimulators: „Perfekt arrangierter Tanz-und Chillout-Sound im Weltformat…ein unvergleichliches Kultur- und Spaßerlebnis… eine herrliche Symbiose verschiedenster Typen und Stile…präzise Arrangements, ausgefeilte Soli…was will man mehr?“
»BACKSTAGE«
Musiker und Musikerinnen
Zum Beruf von Künstlern gehört nicht nur die Performance, die dem Publikum Vergnügen bereiten soll. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringen sie unterwegs: im Flieger, im Zug, stundenlang auf der Straße mit Staus auf der Autobahn. Es braucht ein gutes Zeitmanagement, um rechtzeitig am Auftrittsort einzutreffen. Nach einer Abendshow ist vielleicht schon wieder ein Auftritt am nächsten Mittag in einer anderen Stadt gebucht. Das Publikum erwartet dort wie hier eine, wenn auch nicht immer perfekte, aber doch gute Show. Das ist für die Musiker selbstverständlich. Ein Gegenbeispiel aus vielen Jahren: uns fiel auf, dass Musiker, die fast jährlich beim Festival auftraten, zunehmend recht müde Konzerte „ablieferten“. Auf Gerds Nachfrage kam die Begründung, dass sie ja in der Nacht vorher bis früh auf einem anderen Festival gespielt hätten. Für die Folgejahre wurde eine andere Entscheidung getroffen. Manche Musiker leiden noch unter Jetlag am Tag des Auftritts und es kommt ein prima Konzert dabei heraus. Andere planen vor dem ersten Gig einen freien Tag ein, um fit zu sein. Ich erinnere mich an einen Gitarristen, der seinen Auftritt in der Jegelscheune nicht absagen wollte, obwohl sein Vater am Tag vorher verstorben war.
Das Verhältnis Musiker-Veranstalter wird von vertraglichen Absprachen bestimmt. Die Künstler verpflichten sich pünktlich zum Soundcheck zu erscheinen und die vereinbarte Konzertzeit zu spielen. Sie erhalten eine vorher vertraglich geregelte Gage, in bar ausbezahlt. Für amerikanische Künstler gab es manchmal einen Anteil als Vorkasse, um die Flüge zu finanzieren. Der Veranstalter bucht die Unterbringung in (möglichst) Einzelzimmern und übernimmt die Kosten. Für Getränke und ev. Verköstigung ab Eintreffen wird gesorgt, wie vertraglich festgelegt. Das führte bei uns zu manch Kuriosität. Eine Band wollte Fischdosen und verschiedene Schokoladen sowie Nüsse im Backstage haben. Es stellte sich heraus, dass das der Proviant für den nächsten Tag sein sollte. Das war keinesfalls in Ordnung. Bereitgestelltes Obst blieb oft liegen, wenn dies ohne Rücksprache mit den Musikern vom Agenten bestellt wurde. Auch nicht o.k. Eine warme Mahlzeit hingegen war immer vertraglich festgelegt. Gerd hat in den ersten Jahren die Musiker auf Rechnung in einer Gaststätte verpflegen lassen. Nachdem es Fälle mit sehr hohen Rechnungen gab und in einem speziellen Fall eine wahrhaft aberwitzig hohe von einer Künstlerin mit ihrem Begleiter, hat Gerd diese Praxis geändert und der Band ein angemessenes aber festgelegtes Entgelt pro Person ausbezahlt. Bühnengetränke wie Bier, Wein und nichtalkoholische kamen ohne Begrenzung hinzu.
Sonderwünsche wurden von Gerd, soweit machbar, ebenso berücksichtigt. Ron Ringwood hatte gern Fenchelhonig zum „Schmieren“ der Stimme. Ab da gab es bei jedem Konzert für alle Sänger und Sängerinnen Fenchelhonig zum Tee. Bekanntermaßen war es ja auf der Bühne in der Jegelscheune schweißtreibend warm, so dass Handtücher angeschafft wurden. Wer sich an die Anfänge erinnert, erinnert sich auch an die die rot-weiß- gestreiften. Immer wieder ein Gag unter den Musikern. Sie wurden alsbald durch weiße Handtücher ersetzt. Gewaschen und aufbewahrt haben wir sie bei uns zuhause, damit sie nicht verloren gingen. Das eine oder andere ging allerdings mit auf Tour. Für den Auftritt von Ray Brown waren ausdrücklich schwarze Handtücher ohne Borte und Verzierung verlangt, doch das fiel Gerd erst am Tag des Auftritts wieder ein. Kaufen konnten wir keine mehr, aber wir hatten privat genau solche. Waschen war zeitlich kein Problem, aber sie würden bis zum Abend nicht trocknen. Glücklicherweise verfügten Freunde in Wendelstein über einen Wäschetrockner. Also: Handtücher waschen, zu den Freunden bringen, trocknen lassen, abholen, in die Konzerthalle bringen. Auch das gehörte zum Festivalalltag. Stammgäste werden sich an meine Transportkisten erinnern. Aber es gab nicht nur Wünsche von Musikern, sondern auch Gesten des Dankes oder der Freundschaft. Gerd bekam das eine oder andere T-Shirt und/oder die neueste CD geschenkt, wir wurden zu Auftritten oder auch Festivals eingeladen, ich wurde mit frischem Olivenöl aus Italien und handgepresstem Kürbiskernöl aus der Steiermark bedacht, es gab Schokolade aus Frankreich.
Zu den Erfahrungen, die Musiker machen, gehören immer wieder auch schlechte Hotelzimmer, Fastfood, und miese Clubs. Eine Musikerin erzählte mir, dass sie froh wäre, in Wendelstein aufzutreten, weil es bei uns so angenehm sauber wäre. Am Tag vorher wäre sie im Club nicht auf die Toilette gegangen. Eine andere erzählte von Nagetieren im Dachgeschoss des Hauses, in dem die Band übernachtete. Einen schlechtgelaunten Veranstalter fanden Künstler bei uns nicht vor, es sei denn, ein Musiker (was auch vorkam) führte sich allzu fordernd und arrogant auf. Unaufmerksames Publikum, dass eine Band nur als Hintergrundbeschallung wahrnahm, erlebten die Künstler bei uns nie. Ganz im Gegenteil: die Bands, die zum ersten Mal in Wendelstein gastierten, waren begeistert von den „andächtigen“, dennoch begeisterten Zuhörern.
Wenige negative Erinnerungen verbinde ich leider mit regionalen Musikern. Einer aus Erlangen empfing mich mit „was für eine Scheißorganisation“, weil ich zehn Minuten zu spät zur Gagenauszahlung kam. Er verschwand dann schimpfend, ohne auch nur ein bisschen Interesse an anderen Konzerten oder das Nightcafe zu zeigen. Einen zweiten Auftritt gab es für ihn nicht. Ansonsten vermisste Gerd oft regionale Musiker unter den Konzertbesuchern, wenn Superstars ihres Instrumentes auftraten. Großes Interesse an einem Auftritt in Wendelstein und auch an anderen Bands des Genres zeigten die Dixie/ New Orleans und Swing Bands aus der Region. Diese Musikrichtung bekam Aufwind durch das Festival.
Ein Nürnberger Musiker schrieb stolz in seiner Vita „Auftritt beim New Orleans Music Festival Wendelstein“ ohne engagiert gewesen zu sein. Er spielte ungefragt als Straßenmusiker. Empört allerdings war ich über eine Sängerin aus Fürth, die in der NN-Befragung zum Jahresende über Tops und Flops in der Kulturszene zitiert wurde. Nach ihrer Aussage war der größte Flop in dem Jahr, man glaubt es kaum, das New Orleans Music Festival in Wendelstein. Tatsache ist, ihre Anfrage nach einem Auftritt ebendort war von Gerd nicht berücksichtigt worden.
Im Laufe der Jahrzehnte erlebten wir auch kränkelnde und erkrankte Musiker, die von unserem Hausarzt Dr. Peter bzw. vom befreundeten Zahnarzt Michael Pape behandelt wurden. Einsatzbereit war auch immer unser Freund, Apotheker Manfred Kohlhas. Oft handelte es sich nur um problemlose „Wehwehchen“, manchmal um große Schmerzen. In einem Fall konnte einem (weltbekannten) Musiker keine entsprechende Medikation verabreicht werden, weil er schon ausreichend Fremdstoffe in seinem Körper hatte.
Über Flo Mingo auf den Balken der Jegelscheune habe ich schon berichtet. Les Haricots Rouges waren ja für ihre Bühnenspäße bekannt. Ebenso verrückt verhielten sie sich auch außerhalb der Bühne. Im Backstagebereich umwickelten sie einmal unseren Kühlschrank komplett mit Tape, verschoben Pflanzen im Hotel und verstellten damit Türen, einmal zogen sie nachts musizierend durch Röthenbach.
Ein großartiger Musiker wollte im „Löhleins“ nicht auftreten, weil er keinen eigenen, von seiner Band getrennten, backstage Bereich hatte. Ich wurde zur Klärung gerufen und bekam es irgendwie geregelt. Der Bassist einer anderen Band wollte nach dem ersten Set nicht mehr weiterspielen. Wiederum fuhr ich zur Klärung ins „Löhleins“. Der Musiker erzählte mir fast weinerlich, dass ein Mitmusiker ihn schon während der gesamten Tour schlecht behandelt und ihn nun fast von der Bühne gestoßen hätte. Ich redete mit „Engelszungen“ auf ihn ein. Er spielte den zweiten Teil des Konzerts hochmotiviert. Nach der Show kam er zu mir und sagte: „Thank you ! You have been like a mother to me.“ Da fragte ich mich einen kurzen Moment ehrlich, was ich denn noch alles sein sollte. Fand es dann aber eher witzig.
Die hervorragende Bluessängerin Candye Kane mit ihrem auffällig üppigen Busen zeigte beim Auftritt in der Jegelscheune ihren Ausschnitt ungezwungen offenherzig und hatte ihn zusätzlich mit zwei schwarzen Federbüscheln geschmückt. Während der Show zauberte sie dann allerlei aus diesem Ausschnitt hervor. Dieses witzige Chichi beeinträchtigte nicht den musikalischen Eindruck, den diese ungemein sympathische Persönlichkeit hinterließ. Leider ist auch sie schon vor einigen Jahren verstorben.
Es gäbe noch ein paar Geschichten über unverschuldetes Zuspätkommen durch „höhere Gewalt“ zu erzählen. Mit Paul Kuhn, der in Zürich wohnte, musste von München abgeholt werden. Leider gab es Probleme mit Fliegerverspätung und Anschlussflug.… Es war hochgradig aufregend, zumal in einem Vor-Handy-Zeitalter. Irgendwie hat es geklappt. Er stand pünktlich auf der Bühne. Gerhard Polt fuhr in ein anderes Röthenbach, da er in sein Navi nicht Markt Wendelstein mit eingegeben hatte. Seine Band war getrennt von ihm gefahren und zielgenau angekommen. Aber auch dieser Auftritt klappte.
Instrumente blieben irgendwo auf der Strecke, landeten im falschen Flieger, gingen verloren, wurden vergessen, kamen defekt an. Glücklicherweise hatte Gerd gute Kontakte, so dass zwar oft erst in letzter Minute, aber immer rechtzeitig für Ersatz gesorgt werden konnte.
2007
„Wendelstein lohnt sich immer“, so die Überschrift über einen kurzen Artikel in der AZ vom 26. April 2007. Über diesen Satz wird sich Gerd gefreut haben. Das Foto daneben zeigt die Dirty Dozen Brass Band aus New Orleans, die allerdings schon bei einem Vorabwochenende im „Löhleins“ auftraten. Manchmal passen Tourneeplanung und Terminwünsche eines Veranstalters nicht zusammen. Die Dirty Dozen, von Brandford Marsalis höchstgelobt, brachte „frischen Wind“ in die Marching Szene der Crescent City. Sie modernisierten den New Orleans Jazz mit Elementen aus Bebop, Rock, Soul, Cajun, aber vor allem auch mit einer starken Prise Funk. Eine äußerst tanzbare Musik, so dass Gerd sie nicht auf der Straße laufen ließ, sondern auf die Bühne holte.
An diesem Wochenende trat auch noch die „Band of Gypsies Reloaded“ auf. Zu Ehren des 65. Geburtstages von Jimi Hendrix spielten Jean-Paul Bourelly, gui, Cindy Blackman, dr, und Melvin Gibbs, b, ein beeindruckendes Powerkonzert mit Zutaten aus Funk, Heavy Rock und Jazzfusion. Cindy Blackman tourte schon 10 Jahre mit Lenny Kravitz durch die Welt und war am Hendrix-Projekt von Nguyen Le in Wendelstein mit dabei. Bourelly, der „Jimi Hendrix des neuen Jahrtausends“ reichert Jimis Erbe mit seinem brodelnden und groovenden Jungle-World-Blues an. Melvin Gibbs, aus der New Yorker Musikszene, spielte u.a. an der Seite von David Byrne, World Saxophon Quartett, John Scofield, Joshua Redman.
“FLASHBACK“
Charlie Watts ist gestorben
25.8.2021 – heutige Meldung: Charlie Watts ist gestorben. Mir stürzten ganz unmittelbar die Tränen aus den Augen. Entsetzlich, unsere Jugendidole sind nicht nur mit uns älter geworden, sondern verschwinden auch aus unserem Leben. Eine Ära geht zu Ende. Gibt man „Rolling Stones“ in die Suchmaschine ein, so erscheint einfach ein Foto von Charlie Watts, ohne Worte, diskret und geschmackvoll. So wie er war, ein Gentleman. Er war nicht nur knapp 60 Jahre durch die Stones bekannt, sondern auch als Jazzer angesehen.
Hier ein Originalfoto der Stones von einem Konzert von 1972. Ich war dabei, von einem Freund aufgenommen, für mich vergrößert und auf Pappe gezogen. Einige Jahrzehnte und viele Umzüge später war es am Rand schon leicht verkrumpelt. Gerd hat es für mich hinter Glas gelegt.
Doch zurück zum Festival-Jahr. Gerd hatte sich nach dem Festival im Vorjahr schweren Herzens entschieden auf das Sternenzelt zu verzichten. Hauptspielort war nun in 2007 die Eventhalle „Im Löhlein’s“. Hans von Draminski schrieb am 3.5.07 in der NN: „Der Umzug in die ungleich kleinere Halle (…) mit nur knapp 270 Plätzen tut der Atmosphäre gut und erhöht die emotionale Dichte. Tuchfühlung, die gerade dann wichtig ist, wenn mal stillere Töne auf dem Programm stehen.“ Es gab in diesem Jahr wesentlich weniger Konzerte. Hatten wir früher bis zu 13 Konzerte an einem Tag, gab es nun nur jeweils 4 bis 6 Veranstaltungen parallel. Die Kneipenveranstalter traten ebenfalls kürzer; war es eine gewisse Festival-Müdigkeit oder Übersättigung? Für uns war es eine spürbare Entlastung. Im Löhlein’s fanden nun auch Nachtcafe und die Jamsessions statt, mit einer Haus-Band für die gesamte Woche: Stefan Scholz & Friends .
Neu war auch der Umsonst-und-Draußen-Sonntagnachmittag von 11.00 bis 18.00 am Marktplatz. Im Gegenzug wurde auf eine zweite Straßenparade verzichtet. Dieser sogenannte und gern betitelte „Familientag“ mit Frühschoppen, Straßenparade und tanzbarer Blues/Zydeco Musik am Nachmittag wurde hervorragend angenommen. Das Wetter war nahezu sommerlich und es herrschte eine großartige Stimmung im Altort. Anregung für dieses neue Event war vielleicht der Vorschlag der Opposition im Gemeinderat, das Festival doch eher zu einem Familienfest umzugestalten (Kinderbelustigung, Buden im Altort). Gerd konnte es abwenden, wie schon mal zuvor die Forderung nach einer zweijährigen Ausführung des Festivals. Dies machte ihn nicht beliebter bei den Politikern, aber ich denke, er hätte eher „das Handtuch geworfen“ als das Konzept seines Festivals zu Gunsten eines Kirchweih-Abklatsches aufzugeben. Mehr zur Politik rund um das Festival in einem nächsten „Backstage“. Hier lieber eine Würdigung des Journalisten Hans von Draminski im Schwabacher Tagblatt vom 7.5.2007:
„…und alle kommen mit jenem Lächeln aus dem Saal, dass man nach einem schönen Erlebnis im Gesicht hat. Was auch im 14. Jahr den Charme dieses Festivals ausmacht? Vielleicht die familiäre Atmosphäre: Festivalmacher Gerd Huke entert vor jedem Konzert persönlich die Bühne, um die jeweilige Band anzumoderieren, seine Sponsoren zu begrüßen und die Gäste mit ein paar netten Worten auf den Abend einzustimmen. Der Enthusiasmus des nach eigenem Bekunden „musikverrückten“ Kultur-Aktivisten überträgt sich auf das Publikum, noch ehe der erste Ton gespielt wurde. – Dass die eher kleinen Spielorte (…) die Nähe zu den Künstlern begünstigen, ist ein gewollter Nebeneffekt. Hier gibt es Szenestars aus Blues und Jazz, Bluesrock und Soul „zum Anfassen“, hautnah und echt. Und so mancher, der im Laufe der Woche seinen Festivalauftritt hatte, bleibt aus freien Stücke ein paar Tage länger, genießt das besondere Flair und beteiligt sich an der allabendlichen Jam-Session im Löhlein’s. Darunter auch echte Größen wie Chris Jagger (…) oder Elliott Murphy. (…) Gerd Huke ist nach neun Tagen müde aber froh, wie er sagt. Ein Gefühl, das er wohl mit der überwiegenden Mehrheit der Wendelstein-Gänger teilt.“
An allen Festivaltagen konnten wieder hervorragende Musiker und Musikerinnen gehört werden. Mit den Echoes of Swing sowie Engelbert Wrobel & Frank Muschalle Trio hatten wir zwei wunderbare swingende Abende In der Jegelscheune. Vier spannende Bluesabende gab es mit Alex Schulz & Raphael Wressnig, Terry Lee Hale, Bob Brozman und dem Ray Bonneville Duo. Von ihm läuft gerade im Hintergrund die CD „Bad Man’s Blood“, aus 2001. Unbedingt reinhören! Auf dem Cover ist zu lesen „A raw, moody masterpiece of swampy blues, folk and reviting songwriting!“ Immer wieder werde ich erinnert, was für fantastische Musiker in Wendelstein gastierten. Danke Gerd!
Auf der Hauptbühne traten auf: Ron Williams & The Blues Night Band, die Barrelhouse Jazzband, das Thilo Wolf Quintett, Oliver Mally mit seinem Projekt „Side Step“ und Lisa Doby als Krankheitsersatz für Friend & Fellow. Elliot Murphy, der außergewöhnliche Songwriter, Sänger und Gitarrist, bescherte uns mit seiner Band und dem begnadeten Gitarristen Olivier Durand eins von zwei wunderbaren Konzerten am Freitag, den 4. Mai. „Literatur ist meine Religion, aber Rock’n’Roll ist meine Sucht“. Das anrührende Lied über seinen Vater, der Elvis Presley verehrte und mit seinem Sohn Elliot an Presleys Geburtstag im Cadillac herumfährt, Musik hört und mit ihm in „ehrwürdigen“ Hotelbars einkehrt (erinnernd an Scott Fitzgerald), ist ein Beispiel für die wunderbaren Texte. In einem weiteren familienbetonten Song singt er über seinen kleinen Sohn Gaspard, mehr bewegt und liebevoll als mit üblichem Papa-Stolz. Tri Continental, eine spannende Band aus Kanada, noch eher unbekannt in Europa, beendeten an diesem Abend in Wendelstein ihre ausgedehnte Tour.
John Lee Hooker jr. brachte selbstverständlich durch Name und Musik den Vater in Erinnerung. An diesem Abend kreierte Hooker jr. eine neue Email-Adresse für Gerd.: johnleehuke@.
PS: John Lee Hooker jr. tritt am 2. Nov. 21 in der Kofferfabrik in Fürth auf. Wir sehen uns! – VERSCHOBEN!
Besonders beachtet wurde wieder mal Chris Jagger. „Wirbelsturm und Wasserdusche – British Night: ekstatische Show von Chris Jagger brachte auch das Publikum aus dem Häuschen“, NZ, 4.Mai 2007, und weiter heißt es: „Mit Sicherheit einer der großen Höhepunkte (…) denn was die Band „Ben Waters Honky Gurus“ als auch danach „Chris Jagger‘s Atcha!“ auf die Bühne zauberten, verdient ohne Übertreibung das Gütesiegel “sensationell“.“ Einige Schlagworte aus diesem Presseartikel sollen die Begeisterung an diesem Abend verdeutlichen: Tollhaus, Wirbelsturm, heißblütiger Musiker, bearbeitete mit dem rechten (nackten) Fuß sein E-Piano, begeisterte bis alle Zuhörer standen. Und dann …Die von Ben Waters achtlos vom Flügel gezogene Klavierdecke verursachte einen Schwelbrand, weil sie unbeachtet auf einen Scheinwerfer gefallen war. Ich denke, viele von den Zuschauern hielten es zunächst für einen Gag, aber der Rauch wurde ernst genommen und das Publikum verließ diszipliniert die Halle. Nach diesem Schreck sprang Chris Jagger wie immer gut gelaunt und spielfreudig auf die Bühne und schaltetet sogleich in den höchsten Gang. Die Show von Ben Waters schien ihn angefeuert zu haben. „(…) dann hält es Chris Jagger nicht mehr vor dem Mikrofon, bearbeitet das Waschbrett, eine Percussiontrommel, wirft die Mundharmonika ins Eck, fängt zu springen und zu tanzen an und verausgabt sich bis zur völligen Erschöpfung. (...) hält es niemanden mehr. Die Leute beginnen zu tanzen und mittendrin Chris Jagger. Höhepunkt (…) war der gemeinsame Auftritt der beiden Bands.“
By the way - 21.9.21: Andreas, ehemaliger Stammgast und selber Musiker, schickte mir heute einen Link zum Video von Chris Jagger gemeinsam mit seinem Bruder Mick. „Anyone Seen my Heart“. Zwei alte weiße Männer, agil und in bester Stimmung! Toll! Das reinste Tanz-Stück! Die neue CD von Chris “Mixing up The Medicine“ klingt ganz anders als wir ihn kennen. Mit großer Besetzung, nicht mehr nur zydecolastig, irgendwie erwachsener, vielfältiger.
In diesem Jahr wurde auch die Jugend bedient. Und zwar äußerst erfolgreich mit „Jamaram“, der damals jungen Reggae Band aus der Umgebung von München. Das Foto zeigt die jungen Mädels gedrängt vor der Bühne.
Mittendrin Michael Lang mit seinen Eltern, die ihn schon als Bub mit in die Jegelscheune brachten. Tja, … und viele Jahre später ist er auf der Bühne als Schlagzeuger der NewComerBand „Muddy What“ zu sehen und zu hören, die sich inzwischen gut etabliert hat. Echte Nachwuchsförderung.
Das am 7. Mai ausgefallene Konzert der Yardbirds wurde im Oktober nachgeholt. „Ein Kapitel Musikgeschichte: …frech, rotzig, messerscharf, präzise, punktgenau, prall und packend vom ersten Ton an. (…) Krachende Gitarren, hypnotisierende Riffs und mehrstimmiger Gesang mit Gänsehaut-garantie sorgten für glänzende Augen beim Publikum, das natürlich auch nicht jünger geworden ist.“ St, 15.10.07
Ebenfalls in der neuen Eventhalle fand am 18. Juni ein ganz außergewöhnliches Konzert statt, das Gerd zuversichtlich an einem Montag anbieten konnte: Das Taj-Mahal-Trio! Von diesem Konzert und den drei eleganten Herren war ich nachhaltig und bin bis heute beeindruckt: Grandios!! Wir hatten Taj Mahall Jahre zuvor in Nürnberg in der Katharinenruine gesehen. Es war Anfang Juli und es schien ein geeigneter Zeitpunkt für ein sonniges Hula-Konzert zu sein. Taj Mahall trat auch in seinem damals bevorzugten Hawaii-Hemd auf. Nur das Publikum saß nach einem Tag mit Dauerregen bei acht Grad open-air mit dicken Winterjacken und Schals und mitgebrachten Kissen auf kalten Stühlen. Es hätte ein sooo schönes Sommerkonzert sein können. Umso heißer ging es zu in der Eventhalle in 2007.
»BACKSTAGE«
Politik und Kirche
Dieses backstage schiebe ich schon längere Zeit vor mir her. Der Grund für den jetzigen Zeitpunkt sehe ich in der Schwierigkeit für mich über den Anfang vom Ende zu berichten. Ich bin mit meinen Erinnerungen zwar erst im Jahr 2007 angekommen, aber mir hat sich im Nachhinein offenbart, dass es damals schon Anzeichen gegeben hat „den Huke und seine Negermusik“ in die Schranken zu verweisen. Man möge mir den Ausdruck verzeihen, aber diese Originalaussage war kein einmaliger „Ausrutscher“ im beschaulichen Wendelstein. Es gab z.T. recht schockierende Äußerungen, von denen ich mir wünschen würde, sie wären lediglich unbedacht geäußert worden. Es folgen weitere, leider gar nicht amüsante Zitate, die ich zeitlich nicht mehr einordnen kann. Eigentlich auch nicht erforderlich, es reicht die Stimmungslage zu spüren. Gerd suchte eine passende Stätte für ein Gospelkonzert während des Festivals. Antwort: „Die Neger kommen mir im Marienmonat Mai nicht in die Kirch‘; das sind keine Christen.“ Später, nachdem Gerd auch in einer zweiten Kirche nicht mehr gewollt war: “Das Publikum tanzt in den Reihen und steht auf den Bänken. Es klebt Kaugummi auf den Boden.“ Wer sich an unser damaliges Publikum erinnert, weiß ganz sicher, dass das nicht sein konnte. Ja, es herrschte eine gute Stimmung. Die Gospelchöre, die Gerd engagiert hatte, kamen meistens direkt aus New Orleans oder den Südstaaten. Die Mitglieder waren zutiefst gläubig, lebten ihren Glauben und zeigten ihre Überzeugung auch auf der Bühne, und zwar mit dem Temperament, das ihnen zu eigen war. Ihr Glaube schien eine durchaus fröhliche bzw. optimistische Angelegenheit zu sein. Die Gäste waren selbstverständlich von dieser Wahrhaftigkeit angetan und haben vor Begeisterung geklatscht oder sich bewegt. Tatsache war, dass die aus den USA kommenden Gospelgruppen schon im Vorhinein einer Europatour vom europäischen Management, speziell für Deutschland, angehalten wurden, zwar authentisch, aber nicht zu überbordend zu performen. Der letzte Kirchenauftritt wurde beendet mit der Begründung, der neu installierte historische Altar würde leiden, wenn so viele Besucher in der Kirche ihre Ausdünstungen von sich geben. Ich lasse das ohne Kommentar stehen, allein „so viele Besucher“ sagt viel aus.
Aber zurück zur Politik, zum Marktgemeinderat, Gerds Arbeitgeber. Bgm Kelsch und die SPD-Fraktion mit Herbert Eckstein hatten Gerd Huke in 1983 eingestellt mit der Vorgabe, ein Kulturprogramm zu installieren, das nicht die herkömmlichen kulturellen Strukturen tangieren dürfe, es sollte etwas vollkommen Neues sein. Irgendwann gab es anscheinend einen Punkt, an dem der Opposition das Neue zu neu war. Ihnen war der Huke wohl zu eigenmächtig in seinem Handeln und zu wenig „Amtmann“. Die beispielhafte Äußerung „Der Huke ist einer, der nicht erwachsen werden will“ kann ich zeitlich nicht mehr einordnen, sagt jedoch einiges aus über das Verhältnis Politik und Kultur. Schon im Jahr 1991 hat Gerd die Mitglieder des Marktgemeinderates darauf hingewiesen, dass die Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur in anderen Gemeinden weitaus höher liegen würden. Er hat den Wert von Kultur für eine Gemeinde anhand von Untersuchungen und Veröffentlichungen begründet und sich erhofft, man würde seinen Haushalt vergrößern. Beim Durchlesen dieses Schreibens heute nach 30 Jahren und mit dem Wissen, was nach Jahrzehnten folgen würde, könnte man darin eine erste Konfrontation sehen. Vielleicht wurde aber auch die Konkurrenz der politischen Gegner auf dem Rücken der Kultur ausgetragen. War der „Huke mit seiner Negermusik“ womöglich eine gute Gelegenheit für CSU und Freie Wähler sich zu positionieren? Ging es auch um Eitelkeiten? Neid? Wollten andere Personen im Vordergrund stehen und namentlich genannt werden?
Das Wendelsteiner Kulturgeschehen löste überregionales Interesse aus, mit entsprechend großer Presseresonanz. Wendelstein wurde bundesweit bekannt. Das passierte unter der SPD-Mehrheit mit einem Außenseiter, dessen Name in den Zeitungen genannt wurde. Aber wer sonst, wenn nicht Gerd, sollte denn mit dem Jegelscheunen- und Festivalprogramm in Verbindung gebracht werden? Auch wenn gerade Gerd niemand war, der sich ins Rampenlicht drängte. Aber Wendelstein war eben nicht mehr nur der Berg, sondern der Ort mit dem New Orleans Festival und dem Namen Huke verbunden. Als Veranstalter (in Person die Marktgemeinde vertretend) fühlte er sich dem Publikum verpflichtet, wobei die Verbreitung der New Orleans Musik im Vordergrund stand. Gerds musikalische Vorlieben waren bei seiner Einstellung als Kulturreferent nicht bekannt. Seine Kenntnisse im Bereich Jazz und Blues aber waren die Grundlage für ein qualitätsvolles und erfolgreiches Programm.
Im Laufe der Jahre gab es immer wieder Änderungsvorschläge. Die Idee der Opposition das Festival nur 2jährig stattfinden zu lassen, wurde von der Mehrheitsfraktion abgewendet. Gerd hatte dazu einsichtige Gründe mit Beispielen vorgebracht. Ebenso abgewehrt wurde die gewünschte „Volksfest“ Ausrichtung, die vor allem die Alteinwohner erreichen sollte. Aber schon der Versuch, mehr nichtjazzige Veranstaltungen anzubieten, zeigte keinen nennenswerten Erfolg. Folkloristische und ähnliche Konzerte sowie regionale Kabarettkünstler wurden von der privaten Kleinkunst Bühne „La Trova“ abgedeckt. In den Jahren bis 2008 konnte dem „Kulterer“ unter der SPD Mehrheit nicht allzu viel passieren. Doch ab 2006 bahnte sich wohl langsam etwas an. Äußerungen wurden laut, dass der Wendelsteiner Sommer mit Jegelscheune und Festival weniger einheimische Bürger anzog als viel mehr Auswärtige. Frei zitiert, „das Geld für das Kulturprogramm wird für Auswärtige und Fremde ausgegeben“. Manch anderer Ort wäre genau darauf stolz gewesen. Touristisch gesehen profitierte die Marktgemeinde und die Wendelsteiner Wirtschaft von dem Erfolg.
Dem Anzeigen- und Informationsblatt Meier vom Nov. 2006 habe ich folgenden aufschlussreichen Text entnommen. Zum 20jährigen Geburtstag des Casa de la Trova führten zwei CSU Marktgemeinderätinnen ein Interview mit Klaus Schmidt, dem Betreiber der Kleinkunstbühne.
2008
Schon auf den ersten Blick in die Mitte des gelben Festival-Heftes fällt auf, dass die Programmübersicht nun farbig gestaltet war und die Aufzählung der Konzerte recht luftig wirkt. Das Abspecken wird in diesem Jahr deutlich. Waren es im Vorjahr noch 50 Konzerte, so sind es in 2008 nur noch 41 Veranstaltungen. Druck von „oben“? Vielleicht, dennoch eine Erholungsphase für alle. Nach dem atmosphärischen Löhlein’s, das sich leider doch als zu klein erwies für die Hauptkonzerte, wanderte Gerd weiter im Markt Wendelstein in die Waldhalle im Ortsteil Großschwarzenlohe. Dort blieben wir bis 2012, die Odyssee war beendet. Der Wunsch nach einer richtigen Konzerthalle ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Es gab aber einige Vorteile. Die Halle verfügte über die richtige Kapazität, es gab einen ausreichend großen Backstage-Raum, ein eigenes Büro für Gerd, Umkleideräume mit Duschen und Toiletten für die Bands, ein recht großes Foyer mit Garderobe und Ausschank sowie ein angeschlossenes Restaurant, in dem Gäste vor der Show essen konnten und die Musiker verköstigt wurden. Im Foyer fand im Anschluss an die Hallenkonzerte täglich das Nightcafe bzw. die Jam-Session statt. So konnten zumindest die Besucher der Halle ohne Umweg in die „Nachtmusik“ eintauchen. Leiter der Late-Night-Konzerte in diesem Jahr war der Nürnberger vielseitige und vortreffliche Gitarrist Peter Pelzner.
Doch vorher erlebten wir sieben hervorragende blues-rockige Doppelkonzerte: The All-Star-Night (u.a. Zoot Money, Pete Haycock, Pete York), The British Night (Steve Gibbons Band, Nick Woodland & Band), The European Night (Christian Willisohn, Boris van der Lek, Blues Company mit Big Daddy Wilson), Louisiana meets Texas (Neal Black & The Healers, Bryan Lee), Night oft the Guitars (Miller Anderson band, Nguyen Le), einzigartig in meiner Erinnerung: The Ladies Night mit der fabelhaften Tex-Mex-Lady Patricia Vonne und der Zydeco-Meisterin Liza Haley. Am letzten Sonntag fand einzig das Doppelkonzert mit den Drinkhouse Preachers, ein Akustiktrio mit Alain Rivet, Neal Black und Pat Boudot-Lamot und einer Rory-Gallagher-Tribute-Band statt, bestehend aus Alex Conti, Henrik Freischlader, Gregor Hilden, Richie Arndt & The Bluesnatics.
Hugo Strasser (er wird froh gewesen sein, in der warmen Halle spielen zu können) bestritt mit seinen Hot Five ein Einzelkonzert ebenso wie das Pasedena Roof Orchestra. „Hier swingen Jung und Alt Schulter an Schulter und man kommt mit jenem Lächeln aus dem Saal, das für Wendelstein-Besucher typisch ist“ NN,Feuilleton, 5.5.08 Dies ist wieder eine der vielen positiven Kritiken. Oder auch: „Das 15. New Orleans Festival mit beeindruckenden Künstlern und Konzerten - Am Eröffnungswochenende war es nicht schwer, ein paar echte Perlen im Angebot zu finden.“ NN, 29.4.08
„Das Erfolgsgeheimnis des Festivals hat viel mit kreativer Dickköpfigkeit und unkorrumpierbarem Qualitätsbewusstsein zu tun. Denn Gerd Huke engagiert mit Vorliebe Künstler, die man nicht im Supermarkt-Regal der einschlägigen Tournee-Agenturen findet - und sichert sein Programm mit Publikumsrennern wie Steve Gibbons und Tony Carey ab. (…) Man muss schon ein intimer Kenner der englischen und amerikanischen Blues-Szene sein, um Künstler dieser Königsklasse engagieren zu können. An sie heranzukommen, ist schon ein Kunststück.“ Spark, AZ, 5.5.08
Beim Lesen solcher Beobachtungen kompetenter Kritiker wie z.B. Hans von Draminski oder auch SPARK, meint man, dass Welten liegen zwischen den Ansichten einiger Wendelsteiner Politiker einerseits und den Einschätzungen der Journalisten und der Begeisterung der Besucher andererseits.
Die Bühne der Jegelscheune blieb erfreulicher über all die Jahre ein stabiler Spielort. Auch in diesem Jahr konnte man hier wieder wunderbare Solokünstler oder Kleinformationen des Blues erleben: Terry Lee Hale, Teddy Richards, Tom Shaka, Steve White, Tony Carey und nicht zu vergessen das Oliver Mally Trio und Friend & Fellow.
Am Sonntagnachmittag spielte Ludwig Seuss mit seiner Band zum Tanz vor dem Rathaus auf. Zydeco-Rhythmen bei schönstem Sonnenschein im wunderschönen Altort. Ein voller Erfolg!
2009
Nach Durchschauen des Programmheftes werde ich mich auf wenige Konzerte beschränken. Es sind viele „alte Bekannte“ aufgetreten. In der Jegelscheune fanden selbstverständlich wieder erstklassige Konzerte statt. Z.B. mit der Ian Siegel Band. Ian Siegel, nicht nur hervorragender Gitarrist und Sänger, und auch noch gutaussehend. In 2005 trat er schon einmal solo in der Jegelscheune auf, ähnelte damals noch verblüffend dem jungen hübschen Micky Rourke. Seine letzte CD spielte er mit dem ebenso jungen englischen Gitarrenhero Matt Schofield ein. Jimmie Vaughn humorvoll über Ian: „Next time I come over. I’ll supporting this guy.“ Oliver Mally und Martin Gasselsberger traten im Doppelkonzert mit Guy Davis auf. Ein spannender Abend.
Der Knaller aber war wieder einmal Chris Jagger mit seinem Duopartner Charlie Hart. „… hinterlässt er restlos begeisterte Konzertbesucher. Inzwischen kommt er jährlich mit meist wechselnden Besetzungen in den fränkischen New-Orleans-Stadtteil und räumt jedes Mal gewaltig ab. (…) Höhepunkt des Konzerts war der Gastauftritt von Peter Pelzner und dessen Freundin. Zu viert wurde gejammt, was das Zeug hielt.“ HST, 28.April 2009Zum Programm in der Waldhalle zitiere ich im Folgenden Steffen Radlmaier, NN,4.Mai 2009: Zum musikalischen Gumbo, „was anfangs als reichlich bizarre Idee erschien (…) kommen jedes Jahr fast so viele Besucher wie die Marktgemeinde Einwohner hat. (…) ließ die Publikumsresonanz bei den Starkonzerten in der hübsch-hässlichen Waldhalle zu wünschen übrig. (…) Jedenfalls ist kaum erklärlich, warum nicht einmal 400 Besucher zum Auftaktkonzert der gefeierten New Yorker Blaskapelle „Hazmat Modine“ kamen, die letztes Jahr beim Nürnberger Bardentreffen von Tausenden bejubelt wurden.“ 1. Meine Vermutung: zu modern – 2. Ein Vergleich mit dem großen Umsonst-und-Draußen ist nicht aussagekräftig. Weiter im Artikel: „Doch auch die übrigen Doppelkonzerte in der Waldhalle waren bei weitem nicht ausverkauft, obwohl dort Größen wie Bill Ramsey, Dana Fuchs, Garland Jeffreys oder Terry Evans auftraten.(…) Der in Paris lebende Amerikaner Elliott Murphy begeisterte mit lässigen Ansagen und angenehm entspannten Gitarren- Rock, James Hunter wirkte mit seiner stimmigen Retro-Show wie ein weißer Wiedergänger schwarzer Soul-Stars der 50er und 60er Jahre, archaischen Voodoo-Blues zelebrierte der Sänger und Gitarrist Coco Robicheaux. Der schwergewichtige Boogie-Pianist Gene Taylor trat zusammen mit der Blues-Rock-Band von Junior Watson auf und sorgte für musikalische Aha-Erlebnisse. Gerade solche unerwarteten Begegnungen machen den Reiz des Wendelsteiner Festivals aus, das sich seit gestern sogar auf Bundespräsident Horst Köhler berufen kann. Der bezeichnete die Vielzahl an Festivals in Deutschland als „kulturellen Schatz“ und sagte bei der Eröffnung der Ruhrfestspiele: „In Zeiten des globalen Austauschs braucht Kultur regionale Verankerung.“ Als ein Festivalhöhepunkt wurde der Abend mit zwei Bands aus Texas von Steffen Radlmaier gewürdigt: Patricia Vonne, schon im Vorjahr die Entdeckung und die von mir seit Gerds Buchung freudig erwartete Tex-Mex Band Del Castillo.
Durch diese Musiker bekam Gerd gute Kontakte nach Austin, Texas, ein Sammelpunkt für Musiker und Kreative im konservativen Umfeld. Roberto Rodriguez, der Filmemacher, Bruder von Patricia, lebt dort. Musiker schreiben Filmmusik oder übernehmen kleine Rollen in seinen Filmen. Wir konnten mit ihnen also nicht nur über Musik, sondern auch über diese spezielle Filmkunst reden. Mehr zu lesen gibt es über Del Castillo unter „Jegelscheune, 2012“ und dem folgenden backstage.
»BACKSTAGE«
meine ganz persönliche Geschichte mit Del Castillo
Ein Stammgast hatte Del Castillo in Texas gesehen und Gerd von diesem Konzert erzählt. Gerd versuchte daraufhin die Band ausfindig zu machen, was aber wohl erst gelang, nachdem er Patricia Vonne kennengelernt hatte. Sie stellte den Kontakt zum amerikanischen Management her. Es dauerte aber noch bis ein Einvernehmen klappte. Als Gerd die Zusage für 2009 bekam, rief er mich an und nannte mir den Link zu einem live-Auftritt von Del Castillo. Mich riss es vor lauter Begeisterung vom Schreibtischstuhl. Um der Band noch ein paar Gigs zu verschaffen, rief ich bei uns bekannten Clubs an. Umgehend kamen drei oder vier Zusagen. Von Spätsommer 2008 an lief bei mir im Auto die Musik von Del Castillo. Am Nachmittag des Auftrittstages trafen wir uns dann mit großem Hallo im Backstage, der Sympathie-Funke sprang sofort über und es gab spontane Umarmungen. Für den Abend hatte ich geplant, rechtzeitig in der Waldhalle zu sein um zu tanzen. Während Patricia noch spielte, ging ich eilig durch den Seitenbereich der Halle, wo sich die Umkleiden und Duschen befanden. Ein Oberfenster war geöffnet, ich stoppte und bat einen unserer Helfer, das Fenster zu schließen. Aus Vorsicht, damit die Musiker sich nicht erkälteten, wenn sie verschwitzt von der Bühne kämen. Die an der Wand gelehnten schweren Klapptische (für die spätere Session) beachtete ich nicht … bis der vordere Tisch umfiel und mir auf den rechten Fuß krachte. Gerd kam sofort gerannt, gefolgt von Helfern und Sanitätern. Ich muss gestehen, ich war recht hysterisch, mehr aus Ärger und Seelenpein, Schmerz spürte ich keinen.
Glücklicherweise war unser Hausarzt wieder beim Konzert und bewahrte mich davor, ins Krankenhaus gebracht zu werden. Die Sanitäter hätten ihre Pflicht tun müssen. Dr. Peter aber übernahm die Verantwortung und erklärte den Sanitätern, dass ich an diesem Abend in keinem Fall ins Krankenhaus gehen würde. Wie Recht er hatte. Also saß ich mit Wickel und Eis um den Fuß am Rand anstatt zu tanzen. Das Konzert war trotzdem einmalig. Fortbewegt wurde ich auf einer fahrbaren Equipment-Kiste, abwechselnd geschoben von einem unserer Team-Jungs. In der Nacht fuhren sie uns nach Hause und einer von ihnen trug mich in den ersten Stock! Da ich noch immer keine Schmerzen hatte und wir alle, wie immer, recht aufgekratzt waren, machten wir sogar noch unsere Späße. Am folgenden Samstag erfuhr ich im Krankenhaus, dass mein Mittelfuß glatt durchgebrochen war. Ich wurde mit Gips entlassen. Wäre ich im Fall eines komplizierteren Bruchs geblieben? Ich denke, eher nicht. Das Festival dauerte schließlich noch bis Sonntag.
2010
Auftaktsamstag war in diesem Jahr der 24. April. Schon am ersten Tag war die Jegelscheune ausverkauft. Der nach Texas ausgewanderte Pianist und Multi-Instrumentalist Christian Dozzler brachte Kanadas bekannteste Bluessängerin Robin Banks mit. Bis auf den letzten Platz besetzt war auch die Waldhalle bei dem Konzert mit Rod Mason Hot Five feat. Angela Brown. Nightcafe sowohl Jam-Session wurden in diesem Jahr von der Band United Blues Experience mit dem Bandleader Wolfgang Bernreuther übernommen. In der „Goldenen Krone“ tobte sich der italienische Harpplayer Egidio Juke Ingala aus und in „Guys Weinhaus“ die unverwüstlichen Root Bootleg. Am Sonntag war der Markplatz wieder ganztägiger Mittelpunkt des Geschehens mit „Musik umsonst und draußen“. Auf einen Dixie-Frühschoppen und die Straßenparade folgte ein Konzert mit tanzbarer Cajun- und Zydeco-Musik gespielt von Yannik Munot & Nouvelle France. Am Abend hatten Bluesliebhaber die Wahl zwischen der Jegelscheune mit dem eher ruhigen Duo Willie Salomon & Bert Deivert und der Waldhalle mit lauteren Tönen. Ana Popovic zeigte ihr erwachsen gewordenes Können im inzwischen eigenen Stil, Matt Schofield ist „nicht nur ein begnadeter Techniker, sondern verfügt über einen sehr sprechenden, ungemein plastischen Gitarrenton- und einem auffallend weiten Blues-Horizont (…) (der) in kein Schema passt. (…) Daheim in England wird er bereits als einer der wichtigsten Erneuerer des Genres gefeiert und in einem Atemzug mit lebenden Legenden wie Eric Clapton genannt.“ NN,28.4.2010
Nach den erfolgreichen Auftritten von Lisa Haley in den beiden Vorjahren stand sie in diesem Jahr mit ihren Zydekats als einzige Band auf der Bühne der Waldhalle. Ebenso am Montagabend sorgten Hilde Pohl & Yogo Pausch für einen vollen Stadl bei „Leos Goldener Stern“ und die Echoes of Swing für eine ausverkaufte Jegelscheune. Der Dienstag war ein entspannter Tag mit nur einem Kneipenkonzert, Free Beer & Chicken in Leos Stadl und ein Doppelkonzert in der Waldhalle mit den Zwingenberger Brüdern Axel und Torsten sowie Big Jay McNeely &The Bad Boys. Der Ansturm auf die Plätze war so groß, dass nicht alle Interessenten hineinkamen. Peter Löw schrieb in der NZ vom 29. April so kennerhaft detailliert und musiktheoretisch, dass ich nur einen kleinen Absatz über McNeely zitieren möchte: „Ein Urgestein des Rhythm and Blues ist Big Jay McNeely. Auch mit seinen bald 83 Jahren (…) lässt er es honken und growlen, dass es eine Wucht ist. Genauso wie er es bereits vor 60 Jahren tat, als er seine ersten Erfolge feierte.“ Und am Ende seines Artikels nimmt er den von Big Jays gespielten Armstrong-Titel als Verneigung vor einem mitreißenden Konzert auf, „Oh, what a wonderful world“. Die AZ vom 30.4. befand diesen Abend als einen „der absoluten Höhepunkte…“
Über das Del Castillo-Konzert steht im o.g. AZ-Artikel: „Nur einen Abend später versprühen die Wiederkehrer Del Castillo (…) vom ersten Ton an lateinamerikanisches Fiesta-Feuer. Voller Lebensfreude, mal intensiv-temporeich-heißblütig gefärbt, dann wieder sanft-sentimental-gefühlvoll interpretiert spannen sich die Rhythmen (…) Im wahrsten Sinne des Wortes: bewegend.“ „Diese impulsive, stets spürbare Spontaneität reißt die Zuschauer wörtlich von den Sitzen, ausgelassen tanzen sie im hinteren Teil der Halle…“. Und ich war in diesem Jahr mitten unter ihnen. Froh, dass Gerd die Band noch einmal engagiert hatte. In diesem Bericht wird geschrieben, dass die Band professionell mit Alex Ruiz Stimmproblemen umgegangen ist. Ja, er hatte am frühen Abend wohl irgendetwas Falsches zu sich genommen und musste sich einige Male übergeben. Unser „Festivalarzt“ (wie Gerd ihn immer nannte) war wieder zur Stelle und half. Das Konzert vorher von Patricia Vonne hat mich zwar kritiklos begeistert, kam bei fidus (AZ) aber nicht so gut an. “Das reicht zwar für einen starken Konzertbeginn, versandet dann aber leider im musikalischen Niemandsland.“ Gerd sagte in einem Interview zu dem Erfolg von Del Castillo, Wendelstein wäre ein Türöffner für Bands, nach dem Motto wer „hier spielt, der ist gut“. Del Castillo hatte in diesem Jahr schon eine längere Tournee und macht sich einen Namen. Freude erfüllt mich noch heute, dass wir dran beteiligt waren. Ein „Reizendes Rendezvous mit Helt Oncale (gui, fiddle) und Jan Luley (pi)“, NZ, 30.4.2010 gab es in der Jegelscheune mit überwiegend typischen New Orleans Titeln.
Am Donnerstag stand Steve Gibbons mit seinem Dylan Project im Focus des Publikums und der Presse. „Die Freundschaft zwischen Festivalchef Gerd Huke und Steve Gibbons macht es möglich, dass diese Band jetzt auch in Wendelstein zu hören ist. Ein Muss, nicht nur für Dylan-Fans.“ Peter Löw, NZ,20.4.2010 Dieses Konzert mit einer hochkarätigen Besetzung (Gerry Conway, Dave Pegg, PJ Wright, Phil Bond) war ganz klar ein Festival-Höhepunkt. „Sie spielen die Dylan-Songs so, wie sie die Fans lieben, der Meister selbst aber schon lange nicht mehr spielt, also mit hohem Wiedererkennungswert. Gibbons interpretiert Dylan kongenial, ohne ihn zu kopieren. (…) Kein Zweifel, dass sich Steve Gibbons mit diesem Projekt als Stellvertreter Dylans auf Erden etabliert hat.“ So schreibt der Bob Dylan /Steve Gibbons-Liebhaber und Kenner Andreas Radlmaier in seiner Kritik zum Abschluss des Festivals, NN vom 3.5.2010. Ebenso begeistert zeigte sich an diesem Dylan-Abend der Nürnberger OB Uli Maly.
Als „The Sensational New Orleans Night“ kündigte Gerd das Doppelkonzert mit der Ludwig Seuss Band (endlich auf der Hauptbühne!) und der New Orleans Legende Walter Wolfman Washington an. Schon bei Ludwig mit seiner hochkarätigen Band sprang der Funke über ins Publikum. Mit klassischem Boogie, Jump-Blues, aber vor allem unverfälschten Louisiana Rhythm & Blues zeigten die Münchner ihr Können. Etwas weiter weg als Südbayern, aus dem Süden der USA kam Walter Washington eigens zum Festival mit seiner um zwei Bläser verstärkten Originalband, die Roadmasters. Der 30. April, zufällig der Auftrittstag in Wendelstein, wurde in New Orleans von Bürgermeister C. Ray Nagin zum Walter-Wolfman-Washington-Tag ernannt, weil Wolfman wie kein anderer die ganze Bandbreite der New Orleans Musik widerspiegelt. Er „heult“ nicht nur den Blues aus den Tiefen seines Gitarrenspiels hervor, „in seinen Shows bietet er eine wilde Mischung aus Blues, Soul, Funk und Jazz.“, radl, NN,30.4.10. „Wer ihn live erlebt, erhält eine Geschichtsstunde über die Schwarze Musik Amerikas“, so Gerd in seiner Ankündigung im Programmheft und im Interview. In der Wochenendausgabe der AZ vom 24./25. April erschien vorab ein längerer Artikel über ein Exklusiv Gespräch „mit einem der Top-Stars der neuntägigen Soul- und Bluesmesse“ geführt von dem Journalisten Spark. Dabei wurde geklärt, dass sein Spitzname „Wolfman“ nichts mit seiner Musik zu tun hätte, sondern ihm von einem Freund aus Kindertagen wegen seiner Wildheit gegeben worden war. Und der Musiker äußerte sich verwundert, dass die Leute in Europa auf seine Musik nicht tanzen würden, aber im Sitzen „genießen und aufmerksam zuhören“.
Am Sonntag, den 2. Mai ging es zum Ausklang etwas ruhiger zu. Mit Zwei Frühschoppen, einem Tanzabend mit Los Dos y Companeros in Guys Weinhaus und der Barrelhouse Jazzband am Abend endete das 2010er Festival. Das Nightcafe gab noch einigen Nachtschwärmern die letzte Möglichkeit zum Abhängen.
Als Krönung des Festivals aber wurde von uns, dem Publikum und der Presse das Doppelkonzert „Night of the Guitars“ einen Tag zuvor angesehen. Am 1. Mai standen in der Waldhalle Mike Morgan &The Crawl auf der Bühne. Anson Funderburgh als special guest musste aus Krankheitsgründen leider kurzfristig absagen. Mike Morgan überzeugte das Publikum mit seinem groovenden, kompromisslosen und beinahe hypnotischen Gitarrenspiel.
Dann, nach der Pause, betrat Andy Fairweather Low mit seinen Low Riders die Bühne in der ausverkauften Halle. Er sah aus wie immer, so wie man ihn seit Jahrzehnten auch von den Konzerten mit seinem langjährigen Freund Eric Clapton kennt. Gedeckter Anzug, eher unscheinbar, auf den ersten Blick mit einem Bankangestellten zu verwechseln. Den „Rockstar“ aber konnte man an seinen diversen Gitarren erkennen, die am Rande der Bühne aufgebaut waren und ihm im Wechsel, nahezu nach jedem Song, angereicht wurden. Wegen dieser Kostbarkeiten musste die seitige Ausgangstür verschlossen bleiben und von einem unserer Mitarbeiter bewacht werden. Wer kennt sie nicht, die Songs unserer Jugendzeit? Die unnachahmliche Stimme als Frontman von „Amen Corner“ bleibt uns mit unsterblichen Hits im Kopf: „If paradies is half as nice“ oder „Bend me shape me“. Aber, „Seit einiger Zeit macht Andy Fairwether Low vor allem, was ihm Spaß macht – und das ist eine ganze Menge: Blues, Shufflke, Rock, Skiffle, Country, Reggae. Songs von Claude Francois bis Joe Cocker, Evergreens von „Apache“ bis „When you’re smiling“ (ein wunderbarer Ohrwurm, den ich liebe, Anm. d. V’in) schüttelt er lässig aus dem Ärmel. Und wechselt dabei die Gitarren wie die Hemden. Good-Time-Music, toller Sound, starke Musiker – was will man mehr“, NN, 3.5.10 „Der Ober-Low-Rider ist ein Alleskönner-Musikgenie, ein Chamäleon, das jede Musikfarbe beherrscht. (…) Nach den lautstark eingeforderten Zugaben zählte die Waldhalle klimatisch zu den Subtropen.“, AZ, 3.5.2010
Laut einer Pressenotiz war das ein „Heißer Festival-Endspurt“: „Vielfalt auf höchstem Niveau – das Wendelsteiner New Orleans Festival überzeugte einmal mehr“. NZ/St, 3.5.2010
»BACKSTAGE«
meine musikalische Erfahrungen
In den Jahrzehnten dieses Musikgeschehens fühlte ich mich nicht nur als mithelfende Kraft, sondern war mit Feuereifer dabei und hatte neben zeitweiligem Stress große Freude am gesamten Geschehen. Als Frau des Veranstalters war ich natürlich privilegiert und stand immer in der ersten Reihe. Durfte ich doch schon beim Soundcheck die Musiker persönlich und eher privat kennenlernen. Auch die Stunde vor dem Konzert, meistens hinter der Garderobe stehend, mit Gästen plaudernd, CDs verkaufend empfand ich als Bereicherung. In den ersten 10-15 Jahren gingen wir noch regelmäßig nach den Konzerten mit den Musikern zum Essen. Meistens schlossen sich uns auch Gäste an. Diese Nächte nach den Konzerten in entspannter Atmosphäre gehörten einfach dazu. In den ersten Jahren hingen wir in einem kleinen Lokal ab, das später zum „Kleinen Griechen“ wurde. Janni, der damalige Wirt, wartete stets auf uns und kochte auch noch, wenn es spät wurde. Nach einigen Jahren zogen wir um in seine neue Bar „zum Grünen Baum“ am Marktplatz. Hier sehe ich uns noch an einem großen Tisch mit Mike Zito sitzen. Mike erzählte stolz von seinen vier musikalischen Kindern und zeigte Fotos. Die Kleinste war grade mal vier Jahre alt und hielt eine Gitarre, der Älteste, zwölf Jahre alt, spielte schon Gitarre.
Neben den vielen Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen bleibt aber vor allem die lehrreiche Erfahrung mit den verschiedenen Musikstilen in Erinnerung. Meine Kenntnisse und Vorlieben haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Fast dreißig Jahre Livemusik lehrten mich zu hören und Qualitäten zu unterscheiden. Als ich die erste fränkische „Dixiekapelle“ hörte, war ich zunächst nicht angetan von dieser „Altmännermusik“, wie Gerd mich später oft gern zitierte. Bei dem ersten Auftritt einer Original New Orleans Jazzband spürte ich jedoch, dass ich dieser Musik Unrecht getan hatte.
Durch das 100fache bzw. 1000fache hautnahe Erleben der Livemusik entwickelte sich mein Geschmack, die Begeisterung für einzelne Instrumente wandelte sich. War ich zunächst vom Blues/Boogie-Piano hellauf begeistert (Christian Willisohn war da prägend), so liebte ich später die unterschiedlichen Saxophontöne. Geblieben ist meine Vorliebe für die Gitarre, vorrangig elektrisch gespielt im Blues. Wenn man in kurzer Abfolge verschiedene Gitarristen hört, lernt man unweigerlich differenziert zu hören. Im Laufe der vielen Jahre bekam ich ein Gefühl für Authentizität. Ein Gitarrist kann ein hervorragender Saitenakrobat und Techniker sein, spielen mit Bauch und Herz wirkt tiefer, geht in die Seele. Das ist es, was mich berührt. Von professionellen Kritikern wird erwartet, dass sie ihren persönlichen Geschmack möglichst hintanstellen und die Darbietungen nach Qualität und Anspruch beurteilen. Erfreulicherweise scheint es meistens so zu sein. Ist aber solch eine klare Trennung überhaupt möglich? Nicht nur ich kenne das gelegentliche Gefühl beim Lesen einer Kritik, in einem anderen Konzert gewesen zu sein.
Respekt vor der Leistung der Musiker ist eine wichtige Grundlage für das gute Gelingen eines Konzertabends. Ihre Wünsche hat Gerd fast immer erfüllen können. Es Besuchern und Besucherinnen möglichst recht zu machen, war sicherlich ebenfalls ein Ziel, wurde leider nicht immer erreicht. Zu diesen beiden Themenkomplexen gibt es je ein extra Backstage.
2011
Wie schon im Jahr zuvor zeigte sich das Programmheft nun mit einer neuen Covergestaltung. In 2010 war ein unbekannter Musiker außen abgebildet, in 2011 zierte das Foto von Bryan Lee, einer der Headliner die Umschlagseite. Das Programm des Festivals war weniger umfangreich als all die Jahre zuvor. Es gab nur 34 Konzerte, aber jeder Tag wurde bespielt. Die Hauptacts in der Waldhalle fanden weiterhin täglich (bis auf Dienstag) statt. Bryan Lee trat dort mit seiner Blues Power Band im Doppelkonzert mit der Miller Anderson Band am 7. Mai auf.
In diesem Jahr traten unterschiedlichste Künstler auf, die die Vielfalt der New Orleans Musik darboten. Noch einmal dabei waren Del Castillo und Les Haricots Rouges jeweils in Einzelkonzerten. Einen außergewöhnlichen Doppelkonzertabend erlebten wir zum Auftakt am ersten Samstag mit der französischen Band Flyin‘ Saucer Special Gumbo und der The Sugaray Blues Show mit dem aus Texas stammenden Energiebündel Caron „Sugaray“ Rayford.
Ein ganz besonderer Überraschungsabend aber war die „Great Americana Night. An diesem Abend habe ich wahrscheinlich mein Faible für diese Art Musik entdeckt. Die Band Delta Moon wurde von Tom Gray und Mark Johnson gegründet mit dem Ansinnen die zwei Slide-Gitarren zu einem großen harmonischen Klangteppich zu verbinden. Die beiden sich perfekt ergänzenden Gitarristen, beide wahre Meister ihres Fachs, wurden selbstverständlich durch Bass und Schlagzeug verstärkt. Die Musik der Band of Heathens aus Austin/Texas ist „ur-amerikanisch“, so schreibt Peter Gruner in der NN (unbekannten Datums) über ein Konzert im Hirsch Jahre nach ihrem Auftritt in Wendelstein. Er schreibt weiter: “Band of Heathens spielen einen klassischen Americana-Sound zwischen Rock’n’Roll, Folk, Country, Pop und Blues (…) eine Musik, die ihnen nach hunderten von Auftritten in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die beiden Leadsänger überzeugen mit charismatischen Stimmen, die Satzgesänge zum Sound der Fender-Gitarren sitzen wie angegossen. (…) den handwerklich makellosen, kompakten Songs fehlt indes nur eines: eine eigene Handschrift, die sie aus dem Meer ähnlicher Songwriter hinaushebt. Aber das ist schon Jammern auf verdammt hohem Niveau.“
Als Headliner kündigte Gerd die Fabulous Thunderbirds an. Diese legendäre Band wurde 1974 von Kim Wilson und Jimmie Vaughan (2012 beim Festival) gegründet. 1989 verlässt Jimmie Vaughan die Band und es treten Gitarristen wie Duke Robillard oder auch Kid Ramos an seine Stelle. In 2011 ist nur noch Wilson von der Ursprungsband dabei, was dem ureigenen Sound allerdings nicht schadet.
Mein persönliches Highlight dieses Festivals waren die Pretty Things, „one oft he greatest R&B Bands of all time“ (Van Morrisson). Immer noch dabei und damals scheinbar unverwüstlich: Phil May und Dick Taylor. Den Altersdurchschnitt der Band senkten eindeutig zwei ihrer sehr jungen Mitmusiker, die in den 70er Jahren noch nicht einmal geplant waren. Das Konzert war fürchterlich laut. Aber wem gesteht man diese Freiheit „unzensiert“ zu (auch wenn einige Zuschauer den Saal verließen), wenn nicht den Pretty Things? Kann „LSD“ moderat gespielt werden? Die Antwort ist eindeutig: NEIN!
Vielleicht ohne Legendenstatus, aber mit großem Bekanntheitsgrad, bot auch die zweite Band an diesem Abend ein Konzert der Extraklasse. Buddy Whittington, von John Mayall, bei dem er 15 Jahre spielte, als „possibly the greatest Bluesbreaker of them all“ geadelt.
Von den täglichen Konzerten in der Jegelscheune scheinen mir bemerkenswert das Leadbelly Project mit dem Gitarristen „Poembeat“ und dem charismatischen Sänger James O. Belcher, wiedermal die wunderbaren Friend & Fellow und der Soloauftritt des Slidegitarristen John Campbelljohn.
Ein Fotokalender der SPD befasste sich in 2011 dem Thema „Kultur in Wendelstein“. Deckblatt sowie vier Monatsblätter waren mit großartigen Musikerfotos dem Festival und dem „Wendelsteiner Sommer“ Programm der Jegelscheune gewidmet. Gerd und seinem Engagement nützte es nicht. Beides war unter seiner Regie nicht mehr zu retten.
»BACKSTAGE«
Gäste
Selbstverständlich hatten wir das beste Publikum! Aber es ist kaum anzunehmen, dass bei bis zu 30.000 Gästen in 9 Tagen immer alles perfekt war. Es waren weniger die Stammgäste, sondern eher Einzelbesucher, die Anlass zum Staunen und auch zum Ärgern gaben. Darunter skurrile, fordernde, freche, unhöfliche, dreiste und anmaßende Begegnungen.
Hier zwei Einzelbeispiele: In einem der ersten Jahre besetzten zwei Ehepaare einen Tisch für acht Leute. Nach der Pause - nun gab es keine Abendkasse mehr - kamen zwei weitere Ehepaare hinzu. Ein anderes Mal wollte in eben dieselbe Halle ein Mann umsonst eingelassen werden. Er nannte als Begründung, dass ihm als Wendelsteiner Bürger die über Steuern finanzierte Halle mitgehören und somit der Einlass zustehen würde.
Ansonsten versuchte immer wieder mal jemand in einen der Backstagebereiche zu gelangen oder an der Kasse eines ausverkauften Konzerts noch eine Karte zu bekommen. Für solche Versuche hatten wir plötzlich, für uns überraschend, neue Freunde und Freundinnen. Beschwerden gab es über die Lautstärke, über schlechte Akustik, schlechte Luft, Hitze, Kälte, schlechtes Essen, über Eintritt auch für Kinder, nicht passende Musik, ein zu kurzes Konzert, nicht die Stücke, die auf der CD zu hören sind. …Eigentlich das Übliche, worüber sich jemand beklagt kann. Die Mehrheit unserer freundlichen und gutgelaunten Gäste war überwiegend zufrieden. Einige wurden zu Freunden. Viele freuten sich darauf, sich bei Konzerten wiederzutreffen. Es ging recht familiär zu. Das machte unser Festival zusätzlich attraktiv.
2012 – Teil 1: Programm – Presse – Positionen
Dieses Deckblatt der Pressesammlung hat Gerd im letzten Jahr Rückblick und Vorschau genannt. Die Vorschau bezieht sich auf einige Presseartikel, die ich lieber unterschlagen möchte. Aber nun liegen sie vor mir und ich werde einige Berichte abdrucken, daraus zitieren oder kommentieren. Erstaunlich finde ich im Rückblick das nochmals recht umfangreiche Programm in dieser Qualität. Seinen im Dezember 2011 erlittenen Schlaganfall hatte Gerd glücklicherweise gut überstanden und er war in seiner Planung schon weit voraus. Für das 19. Festival ergab sich eine gute Mischung aus „alten Bekannten“ und einigen Erstauftritten in interessanten Zusammensetzungen für die Doppelkonzerte in der Waldhalle.
Zum zweiten Mal im bewährten Doppel: Delta Moon und DEADMAN. Elliott Murphy war in diesem Jahr eine Neuentdeckung vorangestellt: Pokey Lafarge & The South City Three, eine junge aufstrebende Band aus St. Louis. Diesen vier Bands zollt Steffen Radlmaier in seiner Kritik in der NN vom 1.5.12 höchste Anerkennung. Unter der Überschrift „Der Sound der Südstaaten – Starker Auftakt beim 19. New Orleans Festival in Wendelstein“ schreibt er „Wenn man wissen will, was hinter dem derzeit angesagten Begriff „Americana“ tatsächlich steckt, findet man kaum eine bessere Adresse als Wendelstein (…) sollte sich längst herumgesprochen haben, dass die kleine Marktgemeinde bei Nürnberg ein Wallfahrtsort für Liebhaber traditioneller Musik aus New Orleans ist – und zwar in sämtlichen Spielarten und ohne Scheuklappen.“.
Jimmie Vaughan als Headliner hatte in diesem Jahr Lou Anne Barton dabei. Neal Black mit seinen Healers durfte die Bühne mit ihm teilen, wie er es auch schon vor langer Zeit mit Bruder Stevie Ray in den USA getan hatte. Überschrift eines längeren Artikels im Schwabacher Tagblatt vom 3.5. nur über diesen Abend: „Zwei kongeniale Könner des Blues – Jimmie Vaughan und Neal Black mischten die Waldhalle auf“. Hans von Draminski hingegen schrieb, dass das Doppelkonzert große Momente und Durchhänger hatte. „(…) tischt Black angenehm knackigen, schnörkellosen Rootsblues und Bluesrock auf.“ Über Jimmie Vaughan: “ (…) der Aha-Effekt (…) hat sich aber weitgehend verflüchtigt. (…) Vaughans Virtuosität steht außerfrage, seine Stücke bleiben aber leider ziemlich überraschungs- und widerhakenfrei.“ Lou Ann Barton beschreibt Draminski als ausdrucksvolle Soulshouterin, die zusammen mit Jimmie geradewegs den musikalischen 40er Jahre entsprungen zu sein scheint. „Das ist nett, das geht auch gut ins Ohr, aber nicht unter die Haut.“ In der AZ vom 3.5. erntete der Auftritt von Jimmie Vaughan großes Lob: „Grandios (…) der Starauftritt (…) ist der ungewöhnliche Abend perfekt, das New Orleans Festival als kleines feines Festival um eine Attraktion reicher.“
Ebenso ein perfekt zusammengestelltes Doppelkonzert als einziger Bluesabend am Dienstag: Ludwig Seuss & Friends und Chris Jagger’s Atcha! . Wenn ich heute Musik von Chris Jagger höre, spüre ich noch immer eine Freude, ihn kennengelernt zu haben.
Am Mittwoch gab es ein fränkisches Special bzw. Schmankerl: Die NC Brown Blues Band war mit Klaus Schamberger gekommen, ein abwechslungsreicher Abend.
Donnerstag war Pause in der Waldhalle und es gab nur zwei Kneipenkonzerte.
Oliver Mally, der bisher im kleineren Rahmen und mit kleineren Formationen aufgetreten war, stand in diesem Jahr mit seiner Band Blues Distillery auf der Hauptbühne, gefolgt von Willi Resetarits Stub’n Blues. Überschrift im ST, vom 7.5.12 „Österreich hat den Blues – „Sir“ Oliver Mally und Willi Resetarits. sorgten für Begeisterung in der Waldhalle“.
Zwei Bands, die zum ersten Mal in Wendelstein gastierten und das in einer Bluesnacht: Kofi Baker’s Cream Experience und Savoy Brown! Ein toller Abend. NN-Fueilleton, 7.5.12: “Die aktuelle CD Voodoo Moon zeigt das Blues-Rock-Quartett unerwartet auf einem neuen Höhepunkt. Live ist die Band, die auf Laut-Leise-Dynamik setzt, voller Spielfreude, Energie und Selbstironie. Der Spaß überträgt sich aufs Publikum.“
Der letzte Abend stand bevor! Bei aller Betrübtheit freuten wir uns auf Peter Schneider & The Stimulators, die uns verabschieden sollten und dies gebührend getan haben. Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass die zweite Band an diesem Abend, Kjell Gustavsson Rhythm & Blues Orchestra, bei mir keinerlei Erinnerung hervorruft. Es ist, als ob sie gar nicht aufgetreten wären. Für mich hat sich dieser Abend tief unter dem Eindruck des Abschieds eingeprägt und der fand mit den Stims statt. Es wurde getanzt, aber Tanz und Musik waren nicht frei von Wehmut. Am Ende, nachdem sich die letzten Gäste verabschiedet hatten, standen wir noch irgendwie fassungslos in der Garderobe herum. Gerd wurde selbstverständlich auch offiziell verabschiedet. Während der Rede des damaligen (und jetzigen) Bürgermeisters habe ich die Halle verlassen und mit mir viele Gäste. Unsere Bestürzung war groß, als er die Stimulators in dieser heiklen und emotionalen Stimmungslage öffentlich gleich wieder für’s nächste Jahr engagieren wollte. Wenig feinfühlig, wenn man bedenkt, dass es Gerds Abschied für. Der stand, wie mir schien, etwas verloren daneben. Peter Schneider aber antwortete prompt und ganz cool, dass die Gage dann wohl erheblich steigen müsste, worauf dem verblüfften Bürgermeister nichts einfiel. (Übrigens duzte der Bürgermeister sowohl Gerd, wie auch schon in der Jegelscheune am 31. März, als auch Peter Schneider.)
Als später die Nachfolgerin im Amt tatsächlich bei Peter anrief, forderte er die doppelte Gage für die Band mit der Begründung, die Bezahlung in den Jahren vorher wäre ein spezieller Preis nur für Gerd Huke gewesen. Sie meldete sich nicht mehr.
Gerd verhalf daraufhin der Band zu einem Auftritt in Guy’s Weinhaus, wo die Stimulators weitere Jahre auftraten. In 2015 waren wir dabei.
Bei vollständigen Berichten bitte auf das kleine Foto klicken, damit der Presseartikel groß erscheint.
Um das Unverständliche an Gerds „Rausschmiss“ besser einordnen zu können, hier ein „Appetithappen“: am 23. Februar 2012 bekam Gerd Huke vom Bürgermeister Langhans die Anordnung, die Verteilung des aktuellen Jegelscheunen-Flyers zu stoppen. Grund war der Text, mit dem sich Gerd darin als „Veranstalter“ verabschiedete. Die Zeilen waren sehr persönlich gehalten, wie auch sonst nach fast 30 Jahren. Ein Angestellter, der sich als Veranstalter bezeichnet, das durfte offensichtlich nicht sein. Offiziell war das selbstverständlich die Marktgemeinde, das war allgemein bekannt, stand aber für Gäste und Musiker nicht im Vordergrund. Gerd war nach außen der Macher. Geschäftsstellenleiter Harald Jakob wurde beauftragt, einen alternativen Text zu schreiben, der dann im neu gedruckten Flyer erscheinen würde. Ein Affront jagte den nächsten.
NZ 5.3.12
Das schwere Erbe von Gerd Huke
Langjähriger Kultur-Referent (…) geht in Rente
Auch diese Überschrift suggeriert wieder, dass Gerd aus Altersgründen ausscheiden würde. Es hatte den Anschein als ob die Verantwortlichen der Gemeinde dies als Grund für sein Ausscheiden sehr gern an die Öffentlichkeit gaben. In diesem Artikel wird über Neuerungen gesprochen und allerlei in Aussicht gestellt. Das eintrittsfreie Openair am Sonntag soll beibehalten werden, was in einem weiteren Artikel als Neuerung verkauft wird! Gospelkonzert in einer Kirche soll als fester Bestandteil aufgenommen werden! Aha! Geplant ist der Ausbau der Zusammenarbeit mit Künstlern (eine ganz frühe Initiative von Gerd), usw. usw. Alles nichts Neues. Herr Hess vom Schwabacher Tagblatt, der sich bisher für die Wendelsteiner Kultur nicht interessiert hat, bringt nun Aussagen ungeprüft in die Öffentlichkeit. Erstaunlich allerdings, was von Frau S. schon im Jahr vorher geplant und veranstaltet worden sein soll. Lesungen, Konzerte für Kinder, Open-air Veranstaltungen … Frau Söllner, Cousine eines CSU-Marktgemeinderates, die schon seit 2010 (?) im Kulturreferat arbeitete, besuchte nicht einmal eine Veranstaltung in der Jegelscheune. Das neue Konzept sollte sich nun nach Wünschen der Mehrheiten von CSU/FW richten. Da schien es praktisch zu sein, Verwandtschaft einzustellen.
Einseitigkeit war Gerd vorgeworfen worden. Ich denke, damit war auch gemeint, Eigenständigkeit.
NZ, 6.7.12
Mit neuem Titel
Künftiger Name: „Jazz und Blues Open“
… anstatt Blues & Jazz Open! Die Kulturamtsleiterin bekam einen externen Programmmacher an die Seite gestellt, Musikagent und Leiter des Festivals in Ingolstadt, der nun auch das Wendelsteiner Festival planen sollte. Wie verlautbart wurde, bekam er dafür ein sehr gutes Honorar und plante dafür drei oder vier Veranstaltungen. Damit hätte Gerd in 2013 ein Festival mit vielen extra Super Stars bestücken können. Hinzu kam, dass die Verankerung im Ort nicht mehr gegeben war, die zwei Verantwortlichen für die Kultur wohnten weder in Wendelstein noch hatten sie eine Beziehung zur Marktgemeinde. Ein anderer Kurs war geplant. Nur war das Ergebnis keins rundes Gesamtkonzept. Das „Wendelsteiner Festival“ gab es nicht mehr.
Richtigstellung: Gerd ging nicht nach dem Festival in den Ruhestand, dieser würde erst mit Ende März 2013 eintreten. Er hätte noch die komplette Jegelscheunen-Saison von September 2012 bis Ende März 2013 managen können. Etwas Respekt von Seiten der Politik hätte es auch möglich machen können, dass Gerd das Jubiläumsfestival in 2013 zum 20. Geburtstag seines „Babys“ hätte planen und, im wahrsten Sinne des Wortes, über die Bühne bringen können.
Als Neuerung wurden Gospelkonzerte in einer Kirche, Openair am Sonntag und ein Jazzbrunch in Aussicht gestellt. Richtigstellung: Gospelkonzerte gab es von Anfang an. Gratis Freiluftkonzerte fanden regelmäßig und mit großem Erfolg an einem Sonntag am Marktplatz statt, allerdings nicht am 1. Mai, es sei denn, der wäre ein Sonntag gewesen. Ebenso wenig wäre der Jazzbrunch eine Neuerung gewesen. Herr Hess hätte gut daran getan, gründlicher zu recherchieren bzw. überhaupt zu recherchieren als sich auf die blumigen Worte der neuen Verantwortlichen zu verlassen. Auch schon die Redaktionsleitung in den 90er Jahren hat wohl nicht über den Tellerrand der traditionellen Kleinstadt- und Dorfkultur hinausschauen wollen oder können. Wie ich jetzt erst gelesen habe, war der freie Mitarbeiter für den ST damals vollkommen unbedarft in die Jegelscheune geschickt worden. Auf seine Frage, was ihn dort erwarten würde, war die Antwort: „N….musik“.
Pendelbus: auch keine neue Idee. Die wurde schon an Gerd herangetragen. Er hat diese Möglichkeit, mit einer Eintrittskarte alle abendlichen Kneipenkonzerte besuchen zu können, aus plausiblen Gründen verworfen. Wie zu hören war, hatte der reale Versuch keinen Erfolg.
NZ, 29.8.12
Bühne frei für das neue Konzept
Das neue Konzept beinhaltete die Umgestaltung der Jegelscheune. Die Bühne wurde an die Breitseite verlegt, die Garderobe von der Theke befreit. Neu auch die musikalischen Schwerpunkte, weg vom Blues und Jazz, hin zu mehr Volkstümlichen und Leichtem. Eher Beliebigkeit als Spezialisierung. Ein Foto mit drei strahlenden Gesichtern, die ich verständlicher Weise nicht auf meiner Website sehen möchte, krönt diesen Artikel. „Bildungs- und Kulturreferentin“, (Kulturreferent war zu dem Zeitpunkt eindeutig noch Gerd Huke), Willibald Milde, 2. Bgm, Gerds „ältester“ Widersacher, nun endlich mit dabei. Und Harald Jakob, „Geschäftsleiter“, der (angeblich ein Rockmusikfan) noch einige Jahre zuvor Gerd unterstützt hatte, nahm nach dem Mehrheitswechsel eine Richtungsänderung vor und war nun war an der Kultur beteiligt.
NZ, 14.4.12
Gepackt vom Virus Blues
In einem ausführlichen Interview von Robert Unterburger wird nochmal Gerds Antriebsfeder für sein jahrzehntelanges Schaffen beleuchtet. Unterburger hat jahrelang über die Konzerte in der Jegelscheune berichtet. Der Artikel im Wochenanzeiger vom 19.4. fasst die Aussagen kurz und punktgenau zusammen. Weitere Einzelheiten sind von mir in diesem Text an anderer Stelle erwähnt.
AZ vom 24.4.12
„Das gibt mir Kraft“
Die Überschrift bezieht sich auf die Frage der Genesung nach Gerds Schlaganfall im Dezember 2011. Soll heißen, die Vorbereitung und Durchführung des letzten Festivals gab ihm Kraft zu gesunden.
NN ohne Datum (Mitte April)
Das Wunder von Wendelstein
Gerd Huke leitet zum allerletzten Mal das „New Orleans Festival“
Ankündigung des 19. Festivals und eine tolle Würdigung
NZ, Feuilleton, 2.5.12
Letzte Runde für den Chef
Und noch eine tolle Würdigung. Auch hier schreibt eindeutig ein Musikkenner und -liebhaber.
NN, 7.5.12
„Große Abschiedsvorstellung in Wendelstein“
„Alte Bekannte und junge Talente: Zum letzten Mal organisiert Gerd Huke das New Orleans Music Festival“
Nach anerkennenden Worten zum Festivalkonzept sowie Besprechung auftretender Musiker lässt Steffen Radlmaier mit diesem Absatz den vierspaltigen Schlussbericht in der NN vom 7.5. enden.
BluesNews Nr. 70 vom 1.7.2012
Die Ära Gerd Huke geht zu Ende
Unter dieser Überschrift erschien ein ganzseitiger, wertschätzender und gut recherchierter Bericht im Musikmagazin BluesNews. Es wird über Gerds Werdegang und das Werden des Festivals sowie in einem großen Infotext über die auftretenden Bands beim 19. Festivals berichtet.
2012 – Teil 2: Persönliches und Privates
Am 6. Mai 2012, dem letzten Tag der Huke-Ära, wurde Gerd auf der Festival-Bühne von „unseren“ Jungs gebührend verabschiedet. Christoph sprach von Gerd als dem besten Chef, den es geben könnte. Zur Erinnerung gab es eine Fotocollage und die zertrümmerte Trompete mit vielen Unterschriften, auch von Gästen.
Dinge, die uns an Gerd erinnern
Wer kennt sie nicht - Gerds wichtigstes Utensil – die Zigarettenschachtel für die Selbstgedrehten. Unverkennbar vor vielen Jahrzehnten in Amsterdam gekauft. Wird heute noch von mir verwendet, um bei jedem Grabbesuch eine Zigarette für Gerd zu rauchen.
Und auch die Fototasche kennt man. Darunter die unzähligen Musikerportraits aus der Jegescheune, die beinahe auf dem Müll gelandet wären, wie schon vorher Plakate mit persönlichen Widmungen aus Gerds Büro entsorgt wurden.
Gerds letzte Worte im Programmheft 2012
Das war’s. Ich habe mit der Arbeit an diesen Erinnerungen Weihnachten 2019 begonnen und habe sie nun, etwas als ein Jahr später, im Januar 2022 beendet.
Bald sind seit unserem Abschied vom kulturellen Geschehen in Wendelstein 10 Jahre vergangen. Dieses Erinnerungsbuch hilft nun endlich „goodbye“ zu sagen. Gerd hätte vielleicht einige Details nicht veröffentlicht. Durch seinen Tod ist mir, vielleicht verständlich, große Wut geblieben. Doch damit möchte ich nicht enden. Als Anhang gibt es unten noch eine bunte Fotogalerie, z.B. mit Fotos von Gerd, auf denen er mit anderen zusammen „Faxen“ macht und Grimassen zieht. Mir bleiben aus unserer gemeinsamen Musikgeschichte und dem „öffentlichen Leben“ vor allem seine strahlenden Augen in Erinnerung in dem Moment, in dem er auf der Bühne steht, Gäste begrüßt und Musiker ankündigt.
Seine allumfassende Liebe aber galt mir und bleibt für immer und ewig mein.
Wie es mit uns nach dem 19. Festival 2012 weiterging? Hier habe ich es aufgeschrieben.
Eure / Ihre
Gabriele Huke
Stand: 14. Januar 2022